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§ 11 - Wertpapierdienstleistungs-Verhaltens- und -Organisationsverordnung (WpDVerOV)

V. v. 17.10.2017 BGBl. I S. 3566 (Nr. 69); zuletzt geändert durch Artikel 1 V. v. 30.09.2022 BGBl. I S. 1603
Geltung ab 03.01.2018; FNA: 4110-4-21 Börsenvorschriften
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§ 11 Produktfreigabeverfahren für Konzepteure von Finanzinstrumenten



(1) 1Das Konzipieren von Finanzinstrumenten im Sinne des § 80 Absatz 9 des Wertpapierhandelsgesetzes umfasst das Neuschaffen, Entwickeln, Begeben oder die Gestaltung von Finanzinstrumenten. 2Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen, das Finanzinstrumente konzipiert, (Konzepteur) hat die Anforderungen der Absätze 2 bis 15 und des § 81 Absatz 4 und 5 des Wertpapierhandelsgesetzes so zu erfüllen, wie es angesichts der Art des Finanzinstruments, der Wertpapierdienstleistung und des Zielmarkts für das Produkt angemessen und verhältnismäßig ist.

(2) 1Das Konzipieren von Finanzinstrumenten hat den Anforderungen an einen geeigneten Umgang mit Interessenkonflikten, einschließlich der jeweils geltenden Anforderungen an die vereinnahmte Vergütung, zu entsprechen. 2Ein Konzepteur hat insbesondere sicherzustellen, dass die Gestaltung des Finanzinstruments, einschließlich seiner Merkmale, sich nicht nachteilig auf den Endkunden auswirkt. 3Hält der Konzepteur den entsprechenden Basiswert bereits für eigene Rechnung, darf er seine eigenen Risiken, einschließlich der Ausfallwahrscheinlichkeiten, in Bezug auf den Basiswert des Produkts nicht durch entsprechende Konzeption des Finanzinstruments mindern oder verlagern.

(3) 1Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen hat mögliche Interessenkonflikte bei jeder Konzeption eines Finanzinstruments zu analysieren. 2Insbesondere hat es zu beurteilen, ob das Finanzinstrument dazu führt, dass Endkunden benachteiligt werden, wenn diese

1.
eine Gegenposition zu der Position übernehmen, die zuvor von dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen selbst gehalten wurde oder

2.
eine Position übernehmen, die gegensätzlich zu der Position ist, welche das Wertpapierdienstleistungsunternehmen nach Verkauf des Produkts zu halten beabsichtigt.

(4) Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen hat vor seiner Entscheidung, mit der Konzeption des Produkts zu beginnen oder mit ihr fortzufahren, zu beurteilen, ob das Finanzinstrument eine Gefahr für das geordnete Funktionieren oder die Stabilität der Finanzmärkte darstellen kann.

(5) Die an der Konzeption von Finanzinstrumenten beteiligten maßgeblichen Mitarbeiter und Beauftragten müssen über die erforderliche Sachkunde verfügen, um die Merkmale und Risiken der von ihnen konzipierten Finanzinstrumente zu verstehen.

(6) Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen ihre jeweiligen Verantwortlichkeiten in einer schriftlichen Vereinbarung festhalten, wenn sie mit anderen Wertpapierdienstleistungsunternehmen, einschließlich solchen aus Drittstaaten, und Unternehmen, die nicht gemäß der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU (ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 349; L 74 vom 18.3.2015, S. 38; L 188 vom 13.7.2016, S. 28; L 273 vom 8.10.2016, S. 35; L 64 vom 10.3.2017, S. 116), die zuletzt durch die Richtlinie (EU) 2016/1034 (ABl. L 175 vom 30.6.2016, S. 8) geändert wurde, beaufsichtigt werden, zusammenarbeiten, um ein Produkt neu zu schaffen, zu entwickeln, zu begeben oder zu gestalten.

(7) 1Der Zielmarkt ist für jedes Finanzinstrument gesondert zu bestimmen. 2Dabei ist der Kreis der Kunden zu bestimmen, mit deren Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen, einschließlich etwaiger nachhaltigkeitsbezogener Ziele, das Finanzinstrument im Einklang stehen muss. 3Ebenso sind etwaige Kundengruppen zu bestimmen, mit deren Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen das Finanzinstrument nicht vereinbar ist. 4Für nachhaltigkeitsbezogene Ziele gilt Satz 3 nicht im Falle der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsfaktoren im Sinne von Artikel 2 Nummer 24 der Verordnung (EU) 2019/2088 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor (ABl. L 317 vom 9.12.2019, S. 1), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2020/852 (ABl. L 198 vom 22.6.2020, S. 13) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung (Nachhaltigkeitsfaktoren). 5Sind mehrere Wertpapierdienstleistungsunternehmen an der Konzeption eines Finanzinstruments beteiligt, braucht nur ein Zielmarkt des Konzepteurs bestimmt zu werden.

(8) Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen, das Finanzinstrumente konzipiert, welche von anderen Wertpapierdienstleistungsunternehmen vertrieben werden sollen, hat die Bedürfnisse und Merkmale der Kunden, mit denen das Produkt vereinbar sein muss, auf der Grundlage seiner theoretischen Kenntnisse von und seinen bisherigen Erfahrungen mit dem Finanzinstrument oder vergleichbaren Finanzinstrumenten, den Finanzmärkten und den Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen potentieller Endkunden zu bestimmen.

(9) 1Der Konzepteur muss eine Szenarioanalyse seiner Finanzinstrumente durchführen, die beurteilt, welche Risiken des Produkts im Hinblick auf ein schlechtes Ergebnis bestehen und unter welchen Umständen dieses Ergebnis eintreten kann. 2Namentlich hat das Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Wirkungsweise des Finanzinstruments unter negativen Bedingungen zu beurteilen; insbesondere für den Fall, dass

1.
sich die Marktbedingungen verschlechtern,

2.
der Konzepteur oder ein an der Konzeption oder dem Funktionieren des Finanzinstruments beteiligter Dritter in finanzielle Schwierigkeiten gerät oder ein anderweitiges Gegenparteirisiko eintritt,

3.
sich das Finanzinstrument als kommerziell nicht lebensfähig erweist oder

4.
die Nachfrage nach dem Finanzinstrument erheblich höher als erwartet ausfällt, so dass die Mittel des Wertpapierdienstleistungsunternehmens oder der Markt des Basiswerts unter Druck geraten.

(10) Der Konzepteur hat festzustellen, ob ein Finanzinstrument den ermittelten Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen seines Zielmarktes entspricht, insbesondere im Hinblick darauf, ob

1.
das Risiko- und Ertragsprofil des Finanzinstruments mit dem Zielmarkt vereinbar ist,

2.
etwaige Nachhaltigkeitsfaktoren des Finanzinstruments mit dem Zielmarkt vereinbar sind und

3.
die Gestaltung des Finanzinstruments durch Merkmale bestimmt wird, die für den Kunden vorteilhaft sind, und somit nicht auf einem Geschäftsmodell beruht, dessen Rentabilität auf einem nachteiligen Ergebnis für Kunden basiert.

(11) Wertpapierdienstleistungsunternehmen haben die für das Finanzinstrument vorgesehene Gebührenstruktur daraufhin zu prüfen, ob

1.
die Kosten und Gebühren des Finanzinstruments mit den Bedürfnissen, Zielen und Merkmalen des Zielmarkts vereinbar sind,

2.
die Gebühren die erwartete Rendite des Finanzinstruments nicht aufzehren, was insbesondere der Fall ist, wenn die Kosten oder Gebühren sämtliche Vorteile des Finanzinstruments, einschließlich steuerlicher Vorteile, aufwiegen, übersteigen oder aufheben oder

3.
die Gebührenstruktur des Finanzinstruments für den Zielmarkt hinreichend transparent ist, so dass sie keine versteckten Gebühren enthält oder zu komplex ist, um verständlich zu sein.

(12) 1Die an die Vertriebsunternehmen weitergegebenen Informationen über ein Finanzinstrument haben Informationen zu den für das Finanzinstrument geeigneten Vertriebskanälen, zum Produktfreigabeverfahren und zur Zielmarktbeurteilung zu enthalten und in einer Form zu erfolgen, die es den Vertriebsunternehmen ermöglicht, das Finanzinstrument zu verstehen und zu empfehlen oder zu verkaufen. 2Der Konzepteur hat dabei die Nachhaltigkeitsfaktoren des Finanzinstruments auf transparente Art und Weise zu beschreiben und die weitergegebenen Informationen haben alle notwendigen Angaben zu enthalten, die erforderlich sind, um jegliche nachhaltigkeitsbezogenen Ziele der Kunden angemessen berücksichtigen zu können.

(13) 1Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen hat im Rahmen der regelmäßigen Überprüfung des Finanzinstruments nach § 80 Absatz 10 des Wertpapierhandelsgesetzes zu prüfen, ob das Finanzinstrument weiterhin mit den Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen des Zielmarkts vereinbar ist und auf dem vorher festgelegten Zielmarkt vertrieben wird oder ob es auch solche Kunden erreicht, mit deren Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen, einschließlich etwaiger nachhaltigkeitsbezogener Ziele, das Finanzinstrument nicht vereinbar ist. 2Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen hat im Rahmen der Prüfung nach Satz 1 alle Ereignisse zu berücksichtigen, die die potenziellen Risiken für den bestimmten Zielmarkt wesentlich beeinflussen können.

(14) 1Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen hat das Finanzinstrument in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, um zu bewerten, ob sich das Finanzinstrument in der beabsichtigten Weise auswirkt. 2Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen muss festlegen, wie regelmäßig es seine Finanzinstrumente überprüft. 3Es hat dabei die für das Finanzinstrument relevanten Merkmale zu berücksichtigen und muss insbesondere auch Merkmalen Rechnung tragen, die mit der Komplexität oder dem innovativen Charakter der verfolgten Anlagestrategien zusammenhängen. 4Hat das Wertpapierdienstleistungsunternehmen Kenntnis von einem Ereignis, welches das Risiko für Investoren wesentlich beeinflussen könnte, muss es das Finanzinstrument vor jeder weiteren Begebung oder Wiederauflage erneut überprüfen, um zu bewerten, ob sich das Finanzinstrument noch in der beabsichtigten Weise auswirkt.

(15) Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen hat zudem wesentliche Ereignisse zu bestimmen, die die Risiko- und Ertragserwartungen des Finanzinstruments beeinflussen können, insbesondere

1.
das Überschreiten einer Schwelle, die das Ertragsprofil des Finanzinstruments beeinflussen wird, oder

2.
die Solvenz derjenigen Emittenten, deren Wertpapiere oder Garantien die Wertentwicklung des Finanzinstruments beeinflussen können.

(16) Bei Eintritt eines wesentlichen Ereignisses im Sinne des Absatzes 14 hat das Wertpapierdienstleistungsunternehmen geeignete Maßnahmen zu ergreifen, beispielsweise

1.
alle relevanten Informationen über das Ereignis und seine Auswirkungen auf das Finanzinstrument an die Kunden oder, sofern zutreffend, Vertriebsunternehmen des Finanzinstruments weiterzugeben,

2.
das Produktfreigabeverfahren zu verändern,

3.
die weitere Begebung des Finanzinstruments einzustellen,

4.
die Vertragsbedingungen des Finanzinstruments zur Vermeidung unfairer Vertragsklauseln zu ändern,

5.
sofern das Finanzinstrument nicht wie geplant vertrieben wird, zu prüfen, ob die für das Finanzinstrument genutzten Vertriebskanäle angemessen sind,

6.
Kontakt mit den Vertriebsunternehmen aufzunehmen, um eine Änderung des Vertriebsablaufs zu erörtern,

7.
die Vertragsbeziehung zum Vertriebsunternehmen zu beenden oder

8.
die Bundesanstalt unverzüglich darüber zu unterrichten.





 

Frühere Fassungen von § 11 WpDVerOV

Die nachfolgende Aufstellung zeigt alle Änderungen dieser Vorschrift. Über die Links aktuell und vorher können Sie jeweils alte Fassung (a.F.) und neue Fassung (n.F.) vergleichen. Beim Änderungsgesetz finden Sie dessen Volltext sowie die Begründung des Gesetzgebers.

vergleichen mitmWv (verkündet)neue Fassung durch
aktuell vorher 22.11.2022Artikel 1 Verordnung zur Umsetzung der Delegierten Richtlinie (EU) 2021/1269
vom 30.09.2022 BGBl. I S. 1603

Bitte beachten Sie, dass rückwirkende Änderungen - soweit vorhanden - nach dem Verkündungsdatum des Änderungstitels (Datum in Klammern) und nicht nach dem Datum des Inkrafttretens in diese Liste einsortiert sind.



 

Zitierungen von § 11 WpDVerOV

Sie sehen die Vorschriften, die auf § 11 WpDVerOV verweisen. Die Liste ist unterteilt nach Zitaten in WpDVerOV selbst, Ermächtigungsgrundlagen, anderen geltenden Titeln, Änderungsvorschriften und in aufgehobenen Titeln.
 
interne Verweise

§ 12 WpDVerOV Produktfreigabeverfahren für Vertriebsunternehmen (vom 22.11.2022)
... Liquidität verliert oder besonders starken Preisschwankungen ausgesetzt ist. (10) § 11 Absatz 5 gilt entsprechend für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die von anderen Unternehmen ...
§ 13 WpDVerOV Strukturierte Einlagen
...  §§ 11 und 12 dieser Verordnung gelten entsprechend für den Verkauf von und die Beratung zu ...
 
Zitat in folgenden Normen

Wertpapierdienstleistungs-Prüfungsverordnung (WpDPV)
V. v. 17.01.2018 BGBl. I S. 140; zuletzt geändert durch Artikel 6 G. v. 12.12.2019 BGBl. I S. 2637
§ 2 WpDPV Fehler, Mangel, sonstige Erkenntnisse
... 92 Absatz 1 des Wertpapierhandelsgesetzes, 4. die Pflichten nach den §§ 10 bis 12 der Wertpapierdienstleistungs-Verhaltens- und Organisationsverordnung, *) 5. die ...
§ 11 WpDPV Verhaltenspflichten, Organisationspflichten und Aufzeichnungspflichten
... und Finanzportfolioverwaltung nach § 64 des Wertpapierhandelsgesetzes und die Einhaltung der §§ 11 und 12 der Wertpapierdienstleistungs-Verhaltens- und Organisationsverordnung *) und der Artikel ...
 
Zitate in Änderungsvorschriften

Verordnung zur Umsetzung der Delegierten Richtlinie (EU) 2021/1269
V. v. 30.09.2022 BGBl. I S. 1603
Artikel 1 RL-EU/2021/1269-UV Änderung der Wertpapierdienstleistungs-Verhaltens- und -Organisationsverordnung
... 2021 (BGBl. I S. 3436) geändert worden ist, wird wie folgt geändert: 1. § 11 wird wie folgt geändert: a) Absatz 7 wird wie folgt geändert:  ...