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Abschnitt 1 - Seearbeitsgesetz (SeeArbG)

Artikel 1 G. v. 20.04.2013 BGBl. I S. 868, 2014 I 605; zuletzt geändert durch Artikel 3 G. v. 14.03.2023 BGBl. 2023 I Nr. 73
Geltung ab 01.08.2013, abweichend siehe § 154, Ermächtigungen ab 25.04.2013; FNA: 9513-38 Schiffsbesatzung
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Abschnitt 1 Allgemeine Vorschriften

§ 1 Anwendungsbereich



(1) Dieses Gesetz regelt die Arbeits- und Lebensbedingungen von Seeleuten an Bord von Kauffahrteischiffen, die die Bundesflagge führen. Es gilt nicht für gewerbsmäßig genutzte Sportboote unter 24 Meter Länge, wenn auf diesen nicht mehr als zwei Personen beschäftigt sind.

(2) Für Beschäftigte an Bord eines Fahrzeuges, das

1.
die Wasserstraßen der Zonen 1 und 2 nach dem Anhang I der Binnenschiffsuntersuchungsordnung vom 6. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2450), in der jeweils geltenden Fassung, seewärts nicht verlässt oder zu verlassen beabsichtigt oder

2.
die in Nummer 1 bezeichneten Wasserstraßen nur auf Grund einer besonderen schiffssicherheitsrechtlichen Genehmigung seewärts verlassen darf,

gelten die in der Binnenschifffahrt anzuwendenden arbeitsrechtlichen Vorschriften.

(3) Für Seeleute auf Schiffen unter ausländischer Flagge gelten die §§ 139 bis 141 sowie für Schiffe unter ausländischer Flagge die §§ 137 und 138.


§ 2 Begriffsbestimmungen



Im Sinne dieses Gesetzes und soweit nicht ausdrücklich etwas anders bestimmt ist, sind

1.
das Seearbeitsübereinkommen: das Seearbeitsübereinkommen 2006 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 23. Februar 2006 (BGBl. 2013 II S. 763, 765),

2.
das STCW-Übereinkommen: das Internationale Übereinkommen vom 7. Juli 1978 über Normen für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten (BGBl. 1982 II S. 297) in der jeweils geltenden Fassung,

3.
ein Schiff unter ausländischer Flagge: ein Schiff unter einer anderen Flagge als der Bundesflagge, das dem Erwerb durch die Seefahrt dient,

4.
die Berufsgenossenschaft: die Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation,

5.
der seeärztliche Dienst der Berufsgenossenschaft: eine mit Ärzten ausgestattete unselbständige Arbeitseinheit der Berufsgenossenschaft, die schifffahrtsmedizinische Aufgaben wahrnimmt,

6.
Arbeitszeit: die Zeit, während der ein Besatzungsmitglied Arbeit verrichten muss,

7.
Ruhezeit: die Zeit außerhalb der Arbeitszeit, wobei dieser Begriff kürzere Arbeitsunterbrechungen (Ruhepausen) nach § 45 Absatz 2 und § 53 Absatz 5 nicht mit einschließt,

8.
Feiertage: in Deutschland die gesetzlichen Feiertage des Liegeortes, im Ausland und auf See die Feiertage des Registerhafens des Schiffes,

9.
Servicepersonal: die Besatzungsmitglieder, die zur Verpflegung, Bedienung, Betreuung, Unterhaltung oder Krankenpflege anderer Besatzungsmitglieder oder von Passagieren arbeiten oder auf dem Schiff im Verkauf tätig sind,

10.
anerkannte Organisation: eine nach § 135 anerkannte Organisation,

11.
Seeräuberei: Seeräuberei im Sinne von Artikel 101 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 (BGBl. 1994 II S. 1798, 1799),

12.
bewaffneter Raubüberfall auf Schiffe: jede rechtswidrige Gewalttat oder Freiheitsberaubung oder jede Plünderung oder deren Androhung, ausgenommen seeräuberische Handlungen, die zu privaten Zwecken begangen wird und die gegen ein Schiff oder gegen Personen oder Vermögenswerte an Bord dieses Schiffes in den Binnengewässern, den Archipelgewässern oder den Hoheitsgewässern eines Staates gerichtet ist, oder jede Anstiftung zu einer oben beschriebenen Handlung oder deren vorsätzliche Erleichterung zu verstehen.




§ 3 Besatzungsmitglieder



(1) Seeleute im Sinne dieses Gesetzes sind alle Personen, die an Bord des Schiffes tätig sind, unabhängig davon, ob sie vom Reeder oder einer anderen Person beschäftigt werden oder als Selbständige tätig sind, einschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten (Besatzungsmitglieder).

(2) 1Für die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten gelten die Vorschriften des Abschnittes 4 über die Berufsausbildung an Bord. 2Soweit die Vorschriften des Abschnittes 4 keine besonderen Regelungen treffen, sind im Übrigen die Vorschriften dieses Gesetzes mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle des „Heuervertrages" der „Berufsausbildungsvertrag", an die Stelle des „Heuerverhältnisses" das „Berufsausbildungsverhältnis" und an die Stelle der „Heuer" die „Vergütung" tritt. 3Für Praktikanten und andere Personen, die beschäftigt werden, um berufliche Fertigkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten oder berufliche Erfahrungen zu erwerben, ohne dass es sich um eine Berufsausbildung handelt, gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.

(3) 1Keine Besatzungsmitglieder im Sinne des Absatzes 1 sind

1.
Lotsinnen oder Lotsen sowie Personen, die im Auftrag des Bundes, eines Landes oder einer anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaft Beratungs- oder Kontrolltätigkeit an Bord ausüben,

2.
Personen, die im Auftrag einer Werft oder eines Anlagenherstellers zur Ausführung von Gewährleistungsarbeiten oder Garantiearbeiten oder anderen an Bord notwendigen Arbeiten oder zur Einweisung der Besatzung in der Regel nicht länger als 96 Stunden an Bord tätig sind,

3.
Personen, die zur Ausführung von unaufschiebbaren Reparaturen oder Wartungsarbeiten, die von den Besatzungsmitgliedern nicht selbst ausgeführt werden können oder dürfen, in der Regel nicht länger als 96 Stunden an Bord tätig sind,

4.
Reederei- und Ladungsinspektorinnen oder -inspektoren, die auf der Grundlage der Reiseplanung in der Regel nicht länger als 72 Stunden an Bord tätig sein sollen,

5.
Künstlerinnen oder Künstler, die zur Unterhaltung der Fahrgäste nicht länger als 72 Stunden an Bord tätig sind,

6.
Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler, die vorübergehend an Bord von Schiffen tätig sind,

7.
Personen, die sich auf einem Schiff befinden, um von dort aus besondere Tätigkeiten zur Errichtung, zur Änderung oder zum Betrieb von Bauwerken, künstlichen Inseln oder sonstigen Anlagen auf See durchzuführen,

8.
Fachschülerinnen oder -schüler und Hochschul- oder Fachhochschulstudentinnen oder -studenten, die an nach Landesrecht eingerichteten Ausbildungsstätten ausgebildet werden und zu diesem Zweck eine praktische Ausbildung und Seefahrtszeit auf einem Schiff durchführen,

9.
Schülerinnen oder Schüler, die im Rahmen von landesrechtlichen Vorschriften ein Praktikum an Bord leisten,

10.
Schülerinnen oder Schüler, denen durch Vermittlung des Verbandes Deutscher Reeder auf vertraglicher Grundlage während der Schulferien Einblick in die Praxis der Seefahrtberufe gewährt wird, ohne dass diese Personen an Bord tätig sind,

11.
Kanalsteurer auf dem Nord-Ostsee-Kanal und

12.
Sicherheitskräfte privater nach der Gewerbeordnung zugelassener Bewachungsunternehmen.

2Abweichend von Satz 1 Nummer 2 oder 3 genehmigt die Berufsgenossenschaft auf Antrag des anderen Arbeitgebers oder des Reeders, dass eine zu diesen Personengruppen gehörende Person über den jeweils dort genannten Zeitraum hinaus an Bord tätig sein kann, ohne Besatzungsmitglied zu sein, soweit

1.
die Tätigkeit auf einer bestimmten Schiffsreise erfolgt oder erfolgen soll,

2.
eine über den in Satz 1 Nummer 2 oder 3 genannten Zeitraum hinausgehende Tätigkeit an Bord für die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe erforderlich ist, die von den nach den schiffssicherheitsrechtlichen Vorschriften an Bord tätigen Besatzungsmitgliedern nicht selbst ausgeführt werden kann oder darf, und

3.
der vorgesehene Einsatz drei Wochen nicht überschreitet.

3Die Genehmigung ist auf den für die Tätigkeit voraussichtlich erforderlichen Zeitraum zu beschränken, der drei Wochen nicht überschreiten darf. 4Eine Kopie der Genehmigung ist an Bord mitzuführen.

(4) 1Für die in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Personengruppen gelten die §§ 10, 120 bis 126 sowie die auf Grund dieser Vorschriften erlassenen Rechtsverordnungen. 2Für die in Absatz 3 Satz 1 Nummer 8, 9 und 10 bezeichneten Personengruppen gelten zusätzlich zu den in Satz 1 genannten Vorschriften die §§ 11 bis 20, 42 bis 55, 73 bis 80, 93 bis 113, 117, 118, 127 und 128 sowie die auf Grund dieser Vorschriften erlassenen Rechtsverordnungen. 3Für die in Absatz 3 Satz 1 Nummer 11 bezeichnete Personengruppe gelten zusätzlich zu den in Satz 1 genannten Vorschriften die §§ 11 bis 20 und 36 sowie die auf Grund dieser Vorschriften erlassenen Rechtsverordnungen. 4Für die in Absatz 3 Satz 1 Nummer 12 bezeichneten Personengruppen gelten zusätzlich zu den in Satz 1 genannten Vorschriften die §§ 11 bis 20 sowie die auf Grund dieser Vorschriften erlassenen Rechtsverordnungen. 5Der Reeder hat dafür zu sorgen, dass die in Absatz 3 Satz 1 Nummer 6 bis 10 und 12 genannten Personengruppen eine Unterweisung über die gesetzlichen Arbeitsschutzvorschriften sowie die vorgeschriebene Sicherheitsunterweisung erhalten. 6Die in Absatz 3 Satz 1 Nummer 10 genannte Personengruppe ist vom Reeder in der gesetzlichen Unfallversicherung gegen Unfälle zu versichern.

(5) Eine Person, die sich ohne Zustimmung des Reeders, Kapitäns oder einer anderen zuständigen Person auf dem Schiff oder in der Ladung, die später auf das Schiff verbracht wird, verborgen gehalten hat und nach Auslaufen des Schiffes an Bord entdeckt wurde, darf nicht an Bord des Schiffes tätig sein; dies gilt nicht bei einem Notfall oder für Tätigkeiten im Zusammenhang mit der eigenen Unterkunft und Verpflegung.

(6) Name, Zweck sowie Beginn und Ende des Aufenthaltes von Personen an Bord, die nach Absatz 3 nicht zu den Besatzungsmitgliedern gehören und keine Fahrgäste sind, sind unverzüglich im Seetagebuch zu vermerken.




§ 4 Reeder



(1) Reeder im Sinne dieses Gesetzes ist

1.
der Eigentümer des Schiffes oder

2.
jede andere Organisation oder Person, die vom Eigentümer des Schiffes die Verantwortung für den Betrieb des Schiffes übernommen und die sich mit der Übernahme dieser Verantwortung in dem Vertrag mit dem Eigentümer verpflichtet hat, die Aufgaben und Pflichten zu erfüllen, die dem Reeder nach diesem Gesetz und den anderen Rechtsvorschriften zur Umsetzung des Seearbeitsübereinkommens auferlegt werden.

(2) Der Reeder ist für die Einhaltung der Rechte und Pflichten nach diesem Gesetz und den anderen Rechtsvorschriften zur Umsetzung des Seearbeitsübereinkommens verantwortlich. Dies gilt auch dann, wenn

1.
eine andere Organisation oder Person bestimmte Aufgaben und Pflichten im Auftrag des Reeders erfüllt oder

2.
eine andere Organisation oder Person Arbeitgeber oder Ausbildender eines Besatzungsmitglieds ist (anderer Arbeitgeber).

(3) Unabhängig von der Verantwortung des Reeders nach Absatz 2 ist auch der andere Arbeitgeber für die Einhaltung der Rechte und Pflichten des Reeders nach diesem Gesetz und den anderen Rechtsvorschriften zur Umsetzung des Seearbeitsübereinkommens verantwortlich. Der Reeder hat zur Wahrnehmung seiner Verantwortung nach Absatz 2 vertraglich mit dem anderen Arbeitgeber sicherzustellen, dass der andere Arbeitgeber die ihm nach Satz 1 obliegenden Aufgaben und Pflichten gegenüber dem Besatzungsmitglied erfüllt.

(4) Der Reeder haftet auch für Zahlungsverpflichtungen des anderen Arbeitgebers aus dem Heuer- oder Berufsausbildungsverhältnis; insoweit gelten die Vorschriften über den Bürgen, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Die Haftung des Reeders für die Verpflichtung zur Heuer- oder Vergütungszahlung erstreckt sich auf die übliche Vergütung, es sei denn, dass sich ein abweichender Anspruch aus einer vom Reeder unterschriebenen Ausfertigung des Heuer- oder Berufsausbildungsvertrages ergibt.

(5) Für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern oder Auszubildenden und Reedern über Ansprüche aus der Verantwortung des Reeders nach Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Satz 2 Nummer 2 oder Absatz 4 sind ausschließlich die Gerichte für Arbeitssachen zuständig.


§ 5 Kapitän und Stellvertreter



(1) Kapitän ist das vom Reeder zur Führung des Schiffes bestellte Besatzungsmitglied.

(2) Der Kapitän muss Inhaber eines staatlichen Befähigungszeugnisses sein, das ihn zur Führung des Schiffes berechtigt.

(3) Ist ein Kapitän nicht vorhanden oder ist er verhindert, so nimmt der Erste Offizier des Decksdienstes oder der Alleinsteuermann die Pflichten und Befugnisse des Kapitäns wahr.


§ 6 Schiffsoffiziere



Schiffsoffiziere sind Besatzungsmitglieder des nautischen oder des technischen Dienstes, die eines staatlichen Befähigungszeugnisses bedürfen, sowie die Schiffsärztinnen und Schiffsärzte, die Seefunkerinnen und Seefunker, die Schiffselektrotechnikerinnen und Schiffselektrotechniker und die Zahlmeisterinnen und Zahlmeister.


§ 7 Jugendliche Besatzungsmitglieder



Jugendliche Besatzungsmitglieder sind Besatzungsmitglieder, die das 18. Lebensjahr nicht vollendet haben.


§ 8 Datenschutz



(1) Der Reeder und der Kapitän haben dafür zu sorgen, dass Heuerverträge, Heuerabrechnungen, Seediensttauglichkeitszeugnisse, Krankenunterlagen sowie alle anderen Unterlagen mit personenbezogenen Daten so an Bord verwahrt werden, dass kein unberechtigter Dritter davon Kenntnis erlangen kann.

(2) Der Reeder hat sicherzustellen, dass die Übermittlung personenbezogener Daten von Besatzungsmitgliedern nur an die Person erfolgt, für die die Daten dienstlich oder zu privaten Zwecken bestimmt sind. Die Übermittlung von personenbezogenen Daten, insbesondere Kopien von Heuerverträgen, an den Kapitän an Bord eines Schiffes ist zulässig.


§ 9 Abweichende Vereinbarungen



Von den Vorschriften dieses Gesetzes kann zu Ungunsten des Besatzungsmitglieds nur abgewichen werden, wenn es gesetzlich bestimmt ist. Die Mindestanforderungen der Arbeits- und Lebensbedingungen des Seearbeitsübereinkommens im Sinne der Artikel III, IV und VI Nummer 1 Satz 1 sind auch dann zu beachten, wenn eine abweichende Rechtswahl getroffen worden ist.