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Unterabschnitt 3 - Seearbeitsgesetz (SeeArbG)

Artikel 1 G. v. 20.04.2013 BGBl. I S. 868, 2014 I 605; zuletzt geändert durch Artikel 3 G. v. 14.03.2023 BGBl. 2023 I Nr. 73
Geltung ab 01.08.2013, abweichend siehe § 154, Ermächtigungen ab 25.04.2013; FNA: 9513-38 Schiffsbesatzung
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Abschnitt 6 Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit, medizinische und soziale Betreuung

Unterabschnitt 3 Gewährleistung der medizinischen Betreuung durch den Reeder

§ 107 Medizinische Räumlichkeiten und medizinische Ausstattung



(1) 1Der Reeder hat dafür zu sorgen, dass das Schiff mit den für eine ausreichende medizinische Betreuung der Personen an Bord erforderlichen Räumlichkeiten (medizinische Räumlichkeiten) versehen ist. 2Zu den medizinischen Räumlichkeiten gehören

1.
die Kranken-, Behandlungs- und Eingriffsräume,

2.
die Einrichtung dieser Räume, insbesondere der Apothekenschrank, sanitäre Einrichtungen und Kommunikationseinrichtungen sowie Beleuchtung und Belüftung.

3Der Reeder hat dafür zu sorgen, dass die medizinischen Räumlichkeiten in ständig einsatzbereitem Zustand gehalten werden.

(2) 1Der Reeder hat dafür zu sorgen, dass nach Maßgabe der Sätze 2 und 3 das Schiff sowie die zum Schiff gehörenden Überlebensfahrzeuge und Bereitschaftsboote mit einer angemessenen medizinischen Ausstattung versehen sind, die die Anforderungen des jeweiligen Schiffstyps, des Einsatzzweckes und des Fahrtgebietes sowie die Art, die Dauer, das Ziel der Reisen und die Anzahl der Personen an Bord berücksichtigt. 2Zu der medizinischen Ausstattung gehören insbesondere

1.
die in der Schiffsapotheke, in Arzneikisten oder in Sanitätskästen aufbewahrten Arzneimittel, Medizinprodukte, Hilfsmittel und sonstige medizinische Ausrüstung,

2.
die notwendigen Unterlagen für die täglichen oder anlassbezogenen Aufzeichnungen über die Behandlungen und die Verwendung der Schiffsapotheke und der sonstigen medizinischen Ausrüstung, insbesondere Tagebücher und ärztliche Berichtsformulare, und

3.
die benötigten medizinischen Anleitungen.

3Die medizinische Ausstattung muss hinsichtlich ihres Inhaltes, ihrer Aufbewahrung, ihrer Kennzeichnung und ihrer Anwendung, einschließlich der Aufzeichnungsmöglichkeiten, geeignet sein, den Schutz der Gesundheit der Personen an Bord und deren unverzügliche angemessene medizinische Behandlung und Versorgung an Bord zu gewährleisten. 4Entspricht die medizinische Ausstattung dem im Verkehrsblatt oder im Bundesanzeiger jeweils zuletzt bekannt gemachten Stand der medizinischen Anforderungen in der Seeschifffahrt (Stand der medizinischen Erkenntnisse), genügt die medizinische Ausstattung den Anforderungen des Satzes 3.




§ 108 Ausschuss für medizinische Ausstattung in der Seeschifffahrt



(1) 1Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr errichtet einen Ausschuss für medizinische Ausstattung in der Seeschifffahrt (Ausschuss). 2Dem Ausschuss obliegt es,

1.
Entwicklungen im Bereich der medizinischen Ausstattung fortlaufend zu verfolgen,

2.
den Stand der medizinischen Erkenntnisse zu ermitteln und festzustellen,

3.
Empfehlungen zur Einrichtung der medizinischen Räumlichkeiten zu geben.

3Bei der Feststellung des Standes der medizinischen Erkenntnisse sind insbesondere der jeweilige Schiffstyp, die Anzahl der Personen an Bord, der Einsatzzweck, das Fahrtgebiet, die Art, die Dauer und das Ziel der Reisen sowie einschlägige national und international empfohlene ärztliche Normen zu berücksichtigen.

(2) 1Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr hat den vom Ausschuss festgestellten Stand der medizinischen Erkenntnisse im Verkehrsblatt oder im Bundesanzeiger bekannt zu geben. 2Die Berufsgenossenschaft kann eine Bekanntmachung nach Satz 1 nachrichtlich auf ihrer Internetseite veröffentlichen.

(3) 1Der Ausschuss besteht aus einer Vertreterin oder einem Vertreter

1.
des seeärztlichen Dienstes der Berufsgenossenschaft,

2.
des funk- oder satellitenfunkärztlichen Dienstes mit fachärztlicher Beratung,

3.
der für die Gesundheitsangelegenheiten zuständigen Behörde der Freien und Hansestadt Hamburg, wobei die Person in der Schifffahrtsmedizin erfahren sein muss,

4.
des auf Grund des Abkommens der Länder über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Schifffahrtsmedizin eingerichteten Arbeitskreises der Küstenländer für Schiffshygiene, wobei die Person in der Schifffahrtsmedizin erfahren sein muss,

5.
des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte,

6.
der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker,

7.
der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft,

8.
des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie,

9.
der Reeder und

10.
der Seeleute.

2Ferner gehören dem Ausschuss mit beratender Stimme an:

1.
eine weitere Vertreterin oder ein weiterer Vertreter der Berufsgenossenschaft mit Befähigung zum Richteramt,

2.
zwei von der Bundesapothekerkammer benannte, in der Schiffsausrüstung erfahrene Apothekerinnen oder Apotheker,

3.
eine Vertreterin oder ein Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Maritime Medizin, die oder der nicht zugleich den in Satz 1 genannten Einrichtungen angehört.

3Den Vorsitz führt eine Vertreterin oder ein Vertreter des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr, die oder der kein Stimmrecht hat. 4Die in Satz 1 Nummer 1 bis 7 bezeichneten Personen müssen hinsichtlich der medizinischen Behandlung und Versorgung von Personen an Bord oder hinsichtlich der Zulassung und Registrierung von Arzneimitteln, Betäubungsmitteln und Medizinprodukten fachkundig sein; die in Satz 1 Nummer 8 bis 10 bezeichneten Personen müssen Inhaber eines Befähigungszeugnisses für den nautischen Dienst auf Kauffahrteischiffen sein oder über gleichwertige Seefahrterfahrung einschließlich praktischer Kenntnisse in der medizinischen Betreuung an Bord verfügen.

(4) 1Der Ausschuss ist bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben unabhängig. 2Der Ausschuss tagt nicht öffentlich. 3Über die Beratungen ist, mit Ausnahme der gefassten Beschlüsse, gegenüber Dritten Stillschweigen zu wahren. 4Der Ausschuss ist beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte der stimmberechtigten Mitglieder anwesend sind; er fasst seine Beschlüsse mit der Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden stimmberechtigten Mitglieder. 5Außerhalb von Sitzungen können Beschlüsse im schriftlichen Verfahren gefasst werden, wenn kein stimmberechtigtes Mitglied widerspricht; in diesem Falle bedarf ein Beschluss der Mehrheit von zwei Dritteln aller stimmberechtigten Mitglieder.

(5) 1Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr beruft die Mitglieder des Ausschusses auf Vorschlag der entsendungsberechtigten Behörden und sonstigen Einrichtungen für die Dauer von drei Jahren. 2Für jedes Mitglied ist ein Vertreter zu berufen. 3Wiederberufung ist zulässig. 4Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr kann einen Vorschlag nur zurückweisen, wenn die vorgeschlagene Person die notwendige Fachkunde nicht besitzt. 5Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr hat ferner, soweit im Einzelfall ein besonderer fachlicher Bedarf besteht, je eine Vertreterin oder einen Vertreter

1.
des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin im Hinblick auf tropenmedizinische Belange,

2.
des Paul-Ehrlich-Instituts im Hinblick auf Belange des Impfschutzes und der Anwendung von Sera und Impfstoffen,

3.
des Robert Koch-Instituts im Hinblick auf die Bekämpfung und Verhütung von Infektionskrankheiten oder

4.
der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung im Hinblick auf besondere Belange der Seefischerei

zu beratenden Mitgliedern des Ausschusses auf Vorschlag der genannten Einrichtungen zu berufen; die Sätze 2 und 3 gelten entsprechend. 6Darüber hinaus kann das Bundesministerium für Digitales und Verkehr bei sonstigem Bedarf weitere Personen benennen, die beratend an Sitzungen des Ausschusses teilnehmen können.

(6) Die Geschäftsführung des Ausschusses obliegt der Berufsgenossenschaft; sie nimmt an den Sitzungen teil.




§ 109 Durchführung der medizinischen Betreuung und Kontrollen an Bord



(1) 1Für die Durchführung der medizinischen Behandlung und Versorgung an Bord und die Führung, Verwaltung und vertrauliche Behandlung der Aufzeichnungen, insbesondere der ärztlichen Berichtsformulare, ist

1.
der Schiffsarzt oder die Schiffsärztin oder

2.
auf einem Schiff ohne Schiffsarzt oder Schiffsärztin der Kapitän

zuständig. 2Der Kapitän kann im Falle des Satzes 1 Nummer 2 einen Schiffsoffizier mit der Wahrnehmung der Aufgaben nach Satz 1 beauftragen. 3Der Kapitän und für den Fall des Satzes 2 zusätzlich auch der Schiffsoffizier müssen über eine Ausbildung verfügen, die eine angemessene medizinische Behandlung und Versorgung an Bord gewährleistet. 4Die in Satz 3 genannten Personen müssen sich alle fünf Jahre in diesem Bereich durch die Teilnahme an einem zugelassenen medizinischen Wiederholungslehrgang fortbilden. 5Die Anbieter medizinischer Wiederholungslehrgänge haben sicherzustellen, dass den Teilnehmern die für die angemessene medizinische Behandlung und Versorgung an Bord aktuellen Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt werden. 6Ein medizinischer Wiederholungslehrgang wird von der Berufsgenossenschaft zugelassen, wenn gewährleistet ist, dass die Anforderungen des Satzes 5 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 113 Satz 1 Nummer 4 erfüllt werden.

(2) 1Der Reeder hat dafür zu sorgen, dass die in Absatz 1 Satz 1 angeführten Aufgaben von den dort genannten Personen wahrgenommen werden. 2Der Reeder hat ferner dafür zu sorgen, dass sein Schiff

1.
bei Indienststellung,

2.
bei einem Flaggenwechsel oder

3.
im Rahmen der Flaggenstaatkontrolle nach Maßgabe des § 129 Absatz 2

hinsichtlich der medizinischen Räumlichkeiten und der medizinischen Ausstattung durch die Berufsgenossenschaft überprüft wird. 3Die Berufsgenossenschaft kann sich der Mitwirkung von anerkannten Organisationen bedienen.

(3) 1Der Reeder hat zusätzlich zu der Überprüfung durch die Berufsgenossenschaft durch betriebseigene Kontrollen mindestens alle zwölf Monate sicherzustellen, dass die medizinischen Räumlichkeiten und die medizinische Ausstattung stets in einem ordnungsgemäßen Zustand sind. 2Bei der Kontrolle und der notwendigen Ergänzung der medizinischen Ausstattung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten hat sich der Reeder der Mitwirkung einer öffentlichen Apotheke zu bedienen. 3Die in Absatz 1 Satz 1 und 2 genannten Personen haben über die Durchführung der betriebseigenen Kontrollen und die Mitwirkung der Apotheke stets aktuelle Nachweise zu führen und mindestens fünf Jahre ab dem Tag der Ausstellung an Bord aufzubewahren.

(4) 1Die nach Absatz 1 Satz 1 oder 2 zuständige Person hat die medizinische Betreuung einer erkrankten oder verletzten Person an Bord in den in § 107 Absatz 2 Satz 2 Nummer 2 bezeichneten Unterlagen unverzüglich schriftlich oder elektronisch aufzuzeichnen. 2Die Unterlagen und die darin enthaltenen Angaben sind vertraulich zu behandeln und dürfen nur verarbeitet werden, um die Behandlung der erkrankten oder verletzten Person zu gewährleisten. 3Die Berufsgenossenschaft kann allgemein anordnen, dass die nach Absatz 1 Satz 1 oder 2 zuständigen Personen verpflichtet sind, Unterlagen anonymisiert an die Berufsgenossenschaft zu bestimmten Zeitpunkten zu übermitteln, soweit dies für die Fortentwicklung des Standes der medizinischen Erkenntnisse erforderlich ist. 4Die Berufsgenossenschaft darf Daten aus den Unterlagen in anonymisierter Form an Einrichtungen, die wissenschaftliche Forschung betreiben sowie an öffentliche Stellen zum Zwecke statistischer oder wissenschaftlicher Auswertungen übermitteln.




§ 110 Überwachung


§ 110 wird in 1 Vorschrift zitiert

Über die Befugnisse des § 143 hinaus können die Berufsgenossenschaft und bei ihr beschäftigte Personen insbesondere anordnen, dass

1.
die medizinischen Räumlichkeiten so ausgestattet und unterhalten werden, dass sie den Anforderungen des § 107 Absatz 1 Satz 1 genügen,

2.
die medizinische Ausstattung, die nicht dem Stand der medizinischen Erkenntnisse im Sinne des § 107 Absatz 2 Satz 4 entspricht, so geändert oder ergänzt wird, dass sie den Anforderungen des § 107 Absatz 2 Satz 3 oder einer Anordnung nach § 111 Absatz 2 genügt.


§ 111 Ausnahmen



(1) Die Berufsgenossenschaft kann auf Antrag im Einzelfall Ausnahmen von den Anforderungen nach diesem Unterabschnitt und den auf Grund der Vorschriften dieses Unterabschnitts erlassenen Rechtsverordnungen bewilligen, soweit dies mit dem Stand der medizinischen Erkenntnisse vereinbar ist und die medizinische Behandlung und Versorgung der Personen an Bord nicht gefährdet wird.

(2) 1Die Berufsgenossenschaft kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr gegenüber den Reedern anordnen, dass abweichend von dem im Verkehrsblatt oder im Bundesanzeiger veröffentlichten Stand der medizinischen Erkenntnisse die medizinische Ausstattung bestimmten Anforderungen zu genügen hat, soweit dies erforderlich ist, um neueren Erkenntnissen, die im Stand der medizinischen Erkenntnisse noch nicht berücksichtigt sind, Rechnung zu tragen. 2Eine Anordnung nach Satz 1 gilt bis zur Veröffentlichung eines neueren Standes der medizinischen Erkenntnisse, längstens für zwei Jahre. 3Die Anordnung ist im Verkehrsblatt oder im Bundesanzeiger bekannt zu geben; sie kann zusätzlich auf der Internetseite der Berufsgenossenschaft veröffentlicht werden.




§ 112 Funk- und satellitenfunkärztliche Betreuung


§ 112 wird in 1 Vorschrift zitiert

Der vom Bund nach § 1 Nummer 7a des Seeaufgabengesetzes eingerichtete funk- oder satellitenfunkärztliche Dienst mit fachärztlicher Beratung steht allen Schiffen auf See, ungeachtet ihrer Flagge, kostenfrei und jederzeit für funk- oder satellitenfunkärztliche Beratung, einschließlich fachärztlicher Beratung, zur Verfügung.


§ 113 Rechtsverordnungen



1Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr wird ermächtigt, zur Sicherstellung einer ausreichenden medizinischen Behandlung und Versorgung an Bord eines Schiffes durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates

1.
die Geschäftsordnung für den Ausschuss für medizinische Ausstattung in der Seeschifffahrt zu regeln; dabei kann die Bildung von vorbereitenden Unterausschüssen, deren Aufgaben und deren Zusammensetzung bestimmt werden,

2.
nähere Vorschriften über die Besetzung von Schiffen mit Schiffsärzten zu erlassen,

3.
die näheren Anforderungen an die Ausbildung und Fortbildung der Personen im Sinne des § 109 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und Satz 2, einschließlich von Prüfungen und Ausstellung von Bescheinigungen und Zeugnissen, zu bestimmen,

4.
die näheren Anforderungen an die Zulassung und Qualitätssicherung medizinischer Wiederholungskurse zu bestimmen,

5.
nähere Vorschriften zur Überwachung der Vorschriften dieses Unterabschnitts und der auf Grund der Vorschriften dieses Unterabschnitts erlassenen Rechtsverordnungen, insbesondere über Meldepflichten, Aufzeichnungspflichten, Pflichten zur Aufbewahrung von geschäftlichen Unterlagen, Pflichten zu Auskünften, zur Duldung von Besichtigungen der Geschäftsräume und Betriebsstätten und Unterstützungspflichten, zu erlassen,

6.
das Nähere über Art, Umfang und Häufigkeit der betriebseigenen Kontrollen nach § 109 Absatz 3 sowie die erforderlichen Nachweise, Aufzeichnungen und Aufbewahrungsfristen zu regeln.

2In Rechtsverordnungen nach Satz 1 Nummer 3, 4 und 6 kann das Verwaltungsverfahren näher geregelt werden. 3Rechtsverordnungen nach Satz 1 bedürfen des Einvernehmens

1.
des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, soweit die Seefischerei betroffen ist,

2.
des Bundesministeriums für Gesundheit, soweit infektiologische oder hygienische Regelungsinhalte betroffen sind.