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Anlage 1 - Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO)

G. v. 01.08.1959 BGBl. I S. 565; zuletzt geändert durch Artikel 1 G. v. 17.01.2024 BGBl. 2024 I Nr. 12
Geltung ab 01.01.1964; FNA: 303-8 Notare, Rechtsanwälte, Rechtsberater; Beurkundung
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Anlage 1 (zu § 59a Absatz 4 Satz 1) Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen



I. Begriffsbestimmungen

Im Rahmen dieser Anlage bezeichnen die Begriffe

1.
„reglementierter Beruf" eine berufliche Tätigkeit oder eine Gruppe beruflicher Tätigkeiten, bei der die Aufnahme, die Ausübung oder eine der Arten der Ausübung durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften direkt oder indirekt an den Besitz bestimmter Berufsqualifikationen gebunden ist; eine Art der Ausübung ist insbesondere die Führung einer geschützten Berufsbezeichnung, die durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften auf Personen beschränkt ist, die eine bestimmte Berufsqualifikation besitzen;

2.
„Berufsqualifikation" eine Qualifikation, die durch einen Ausbildungsnachweis, durch einen Befähigungsnachweis im Sinne des Artikels 11 Buchstabe a Ziffer i der Richtlinie 2005/36/EG oder durch Berufserfahrung nachgewiesen wird;

3.
„geschützte Berufsbezeichnung" eine Form der Reglementierung eines Berufs, bei der die Verwendung einer Bezeichnung bei der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit oder einer Gruppe von beruflichen Tätigkeiten auf Grund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften unmittelbar oder mittelbar an den Besitz einer bestimmten Berufsqualifikation gebunden ist und bei der bei einer missbräuchlichen Verwendung der Bezeichnung Sanktionen verhängt werden;

4.
„vorbehaltene Tätigkeit" eine Form der Reglementierung eines Berufs, bei der der Zugang zu einer beruflichen Tätigkeit oder einer Gruppe von beruflichen Tätigkeiten auf Grund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften unmittelbar oder mittelbar Angehörigen eines reglementierten Berufs vorbehalten wird, die eine bestimmte Berufsqualifikation besitzen, und zwar auch dann, wenn diese Tätigkeit mit anderen reglementierten Berufen geteilt wird.

II. Zu prüfende Kriterien

Eine Vorschrift im Sinne des § 59a Absatz 3 Satz 2

1.
darf weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung auf Grund der Staatsangehörigkeit oder des Wohnsitzes darstellen;

2.
muss durch zwingende Ziele des Allgemeininteresses objektiv gerechtfertigt sein; während Gründe, die rein wirtschaftlicher oder verwaltungstechnischer Natur sind, hierbei ausscheiden, kommen insbesondere in Betracht

a)
die öffentliche Sicherheit und Ordnung,

b)
die öffentliche Gesundheit,

c)
die geordnete Rechtspflege,

d)
der Schutz der Verbraucher und der sonstigen Dienstleistungsempfänger,

e)
der Schutz der Arbeitnehmer,

f)
die Lauterkeit des Handelsverkehrs,

g)
die Betrugsbekämpfung,

h)
die Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung einschließlich der wirksamen Steueraufsicht,

i)
der Schutz des geistigen Eigentums,

j)
der Umweltschutz,

k)
die Sozialpolitik einschließlich des finanziellen Gleichgewichts der sozialen Sicherungssysteme und

l)
die Kulturpolitik einschließlich des Schutzes des Kulturerbes;

3.
muss zur Erreichung des angestrebten Ziels des Allgemeininteresses geeignet sein und darf nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinausgehen; hierbei sind zu berücksichtigen

a)
die Eigenarten der mit dem angestrebten Ziel verbundenen Risiken, insbesondere der Risiken für Verbraucher und sonstige Dienstleistungsempfänger, für Berufsangehörige und für Dritte;

b)
die Eignung bereits bestehender spezifischer oder allgemeiner Regelungen, etwa solcher des Verbraucherschutzes, das angestrebte Ziel zu erreichen;

c)
die Eignung der Vorschrift, das angestrebte Ziel angemessen, kohärent und systematisch zu erreichen, wobei insbesondere zu beachten ist, wie solchen Risiken entgegengewirkt werden soll, die bei vergleichbaren Tätigkeiten in ähnlicher Weise identifiziert wurden;

d)
die Auswirkungen auf den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr innerhalb der Europäischen Union, den anderen Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums und der Schweiz;

e)
die Auswirkungen auf die Wahlmöglichkeiten der Verbraucher;

f)
die Auswirkungen auf die Qualität der bereitgestellten Dienstleistungen;

g)
die Möglichkeit, das angestrebte Ziel mit milderen Mitteln zu erreichen; hierbei ist in dem Fall, in dem die Vorschrift nur durch den Verbraucherschutz gerechtfertigt ist und sich die identifizierten Risiken auf das Verhältnis zwischen den Berufsangehörigen und den Verbrauchern beschränken und sich deshalb nicht negativ auf Dritte auswirken, insbesondere zu prüfen, ob mildere Mittel in Betracht kommen, als eine Tätigkeit einem reglementierten Beruf vorzubehalten;

h)
die positiven oder negativen Auswirkungen der Vorschrift, wenn sie mit anderen Vorschriften kombiniert wird, die den Zugang zu reglementierten Berufen oder deren Ausübung beschränken; hierbei ist insbesondere zu prüfen, wie die Vorschrift in der Kombination mit anderen Anforderungen zur Erreichung desselben im Allgemeininteresse liegenden Ziels beiträgt und ob sie hierfür notwendig ist; dies gilt insbesondere für folgende Anforderungen:

aa)
Tätigkeitsvorbehalte, geschützte Berufsbezeichnungen und sonstige Formen der Reglementierung im Sinne des Artikels 3 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2005/36/EG;

bb)
Verpflichtungen zur kontinuierlichen beruflichen Weiterbildung;

cc)
Vorgaben zur Berufsorganisation, zu Standesregeln und zur Aufsicht;

dd)
Pflichtmitgliedschaften in einer Berufsorganisation sowie Registrierungs- und Genehmigungsregelungen, und zwar insbesondere dann, wenn diese den Besitz einer bestimmten Berufsqualifikation implizieren;

ee)
quantitative Beschränkungen, insbesondere Anforderungen, die die Zahl der Zulassungen zur Ausübung eines Berufs begrenzen oder eine Mindest- oder Höchstzahl derjenigen Arbeitnehmer, Geschäftsführer oder Vertreter festsetzen, die bestimmte Berufsqualifikationen besitzen müssen oder dürfen;

ff)
Anforderungen an bestimmte Rechtsformen, an Beteiligungsstrukturen oder an die Geschäftsleitung eines Unternehmens, soweit diese Anforderungen unmittelbar mit der Ausübung des reglementierten Berufs zusammenhängen;

gg)
geografische Beschränkungen, einschließlich solcher Bestimmungen, die den Beruf in einigen Teilen der Bundesrepublik Deutschland in anderer Weise reglementieren als in anderen Teilen;

hh)
Anforderungen, die die gemeinschaftliche oder partnerschaftliche Ausübung eines reglementierten Berufs beschränken;

ii)
Unvereinbarkeitsregeln;

jj)
Anforderungen an den Versicherungsschutz oder andere Mittel des persönlichen oder kollektiven Schutzes in Bezug auf die Berufshaftpflicht;

kk)
Anforderungen an Sprachkenntnisse, die für die Ausübung des Berufs erforderlich sind;

ll)
Festlegungen zu Mindest- oder Höchstpreisen;

mm)
Anforderungen an die Werbung;

i)
die folgenden Kriterien, sofern sie für die Art oder den Inhalt der neuen oder geänderten Vorschrift relevant sind:

aa)
der Zusammenhang zwischen dem Umfang der von einem reglementierten Beruf erfassten oder ihm vorbehaltenen Tätigkeiten und der erforderlichen Berufsqualifikation;

bb)
der Zusammenhang zwischen der Komplexität der betroffenen Aufgaben und der Notwendigkeit einer bestimmten Berufsqualifikation der sie wahrnehmenden Personen, insbesondere in Bezug auf das Niveau, die Eigenart und die Dauer der erforderlichen Ausbildung oder Erfahrung;

cc)
die Möglichkeit, die berufliche Qualifikation auf alternativen Wegen zu erlangen;

dd)
die Eignung der einem bestimmten Beruf vorbehaltenen Tätigkeiten, mit anderen Berufen geteilt zu werden;

ee)
der Grad an Autonomie bei der Ausübung eines reglementierten Berufs und die Auswirkungen von Organisations- und Überwachungsmodalitäten auf die Erreichung des angestrebten Ziels, insbesondere wenn die mit dem Beruf zusammenhängenden Tätigkeiten unter der Kontrolle und Verantwortung einer ordnungsgemäß qualifizierten Fachkraft stehen;

ff)
die wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen, die die Informationsasymmetrie zwischen Berufsangehörigen und Verbrauchern verringern oder verstärken können;

4.
muss, soweit sie spezifische Anforderungen im Zusammenhang mit der vorübergehenden oder gelegentlichen Erbringung von Dienstleistungen gemäß Titel II der Richtlinie 2005/36/EG enthält, insbesondere auch im Hinblick auf diese Anforderungen verhältnismäßig sein, es sei denn, dass es sich um Maßnahmen handelt, durch die die Einhaltung geltender Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gewährleistet werden soll und die im Einklang mit dem Recht der Europäischen Union angewendet werden; die Verhältnismäßigkeitsprüfung umfasst vor allem

a)
automatische vorübergehende Eintragungen oder Pro-forma-Mitgliedschaften bei einer Berufsorganisation im Sinne des Artikels 6 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2005/36/EG;

b)
vorherige Meldungen im Sinne des Artikels 7 Absatz 1 der Richtlinie 2005/36/EG, erforderliche Dokumente im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 der Richtlinie 2005/36/EG und sonstige gleichwertige Anforderungen;

c)
Gebühren und Entgelte, die vom Dienstleistungserbringer für Verwaltungsverfahren im Zusammenhang mit dem Zugang zu einem reglementierten Beruf oder dessen Ausübung gefordert werden.





 

Frühere Fassungen von Anlage 1 BRAO

Die nachfolgende Aufstellung zeigt alle Änderungen dieser Vorschrift. Über die Links aktuell und vorher können Sie jeweils alte Fassung (a.F.) und neue Fassung (n.F.) vergleichen. Beim Änderungsgesetz finden Sie dessen Volltext sowie die Begründung des Gesetzgebers.

vergleichen mitmWv (verkündet)neue Fassung durch
aktuell vorher 23.01.2024Artikel 1 Zweites Gesetz zur Umsetzung der Verhältnismäßigkeitsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2018/958) im Bereich öffentlich-rechtlicher Körperschaften
vom 17.01.2024 BGBl. 2024 I Nr. 12

Bitte beachten Sie, dass rückwirkende Änderungen - soweit vorhanden - nach dem Verkündungsdatum des Änderungstitels (Datum in Klammern) und nicht nach dem Datum des Inkrafttretens in diese Liste einsortiert sind.



 

Zitierungen von Anlage 1 BRAO

Sie sehen die Vorschriften, die auf Anlage 1 BRAO verweisen. Die Liste ist unterteilt nach Zitaten in BRAO selbst, Ermächtigungsgrundlagen, anderen geltenden Titeln, Änderungsvorschriften und in aufgehobenen Titeln.
 
interne Verweise

§ 59a BRAO Satzungskompetenz (vom 23.01.2024)
...  (4) Eine Vorschrift im Sinne des Absatzes 3 Satz 2 ist anhand der in der Anlage 1 zu diesem Gesetz festgelegten Kriterien auf ihre Verhältnismäßigkeit zu ...
 
Zitate in Änderungsvorschriften

Zweites Gesetz zur Umsetzung der Verhältnismäßigkeitsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2018/958) im Bereich öffentlich-rechtlicher Körperschaften
G. v. 17.01.2024 BGBl. 2024 I Nr. 12
Artikel 1 2. VerhmRLUG Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung
... 195 Satz 1) Gebührenverzeichnis" durch die folgenden Angaben ersetzt: „ Anlage 1 (zu § 59a Absatz 4 Satz 1) Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer ... „den Artikeln 5 bis 7 der Richtlinie (EU) 2018/958" durch die Wörter „der Anlage 1 zu diesem Gesetz" ersetzt. 3. In § 193 Satz 1 und § 195 Satz 1 wird ... die Angabe „2" eingefügt. 4. Vor der Anlage wird folgende Anlage 1 eingefügt: „Anlage 1 (zu § 59a Absatz 4 Satz 1) ... 4. Vor der Anlage wird folgende Anlage 1 eingefügt: „ Anlage 1 (zu § 59a Absatz 4 Satz 1) Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer ...