Bundesrecht - tagaktuell konsolidiert - alle Fassungen seit 2006
Vorschriftensuche
 

Unterabschnitt 4 - Seesicherheits-Untersuchungs-Gesetz (SUG)


Abschnitt 3 Amtliche Untersuchungen zur Sicherheitskultur des internationalen und nationalen Seesicherheitssystems

Unterabschnitt 4 Durchführung der Sicherheitsuntersuchung

§ 19 Untersuchungsstatus



(1) Die Sicherheitsuntersuchung durch die Bundesstelle hat grundsätzlich Vorrang vor allen anderen fachlich-technischen Untersuchungen für andere als die in § 9 Absatz 2 genannten Ziele und Zwecke. Die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden und der zur Strafverfolgung berufenen Gerichte bleiben unberührt.

(2) Überschneidungen mit anders gerichteten Interessen im Einzelfall sind durch zielgerichtete und zweckmäßige Zusammenarbeit der Bundesstelle mit anderen beteiligten Behörden zu vermeiden.




§ 20 Untersuchungsverfahren



(1) Das Untersuchungsverfahren umfasst die gesamte Tätigkeit der Bundesstelle, die auf die Ermittlung der ursächlichen Zusammenhänge eines Seeunfalls sowie auf die Feststellung der dafür maßgebenden Ursachen gerichtet ist. Es endet mit der Zusammenfassung der Ergebnisse der Sicherheitsuntersuchung in einem Untersuchungsbericht und dessen Veröffentlichung. Der Untersuchungsbericht nach Satz 2 enthält keine personenbezogenen Daten.

(2) Die Bundesstelle bestimmt den Umfang der Sicherheitsuntersuchung anhand des Ausmaßes und der Art des Seeunfalls unter Berücksichtigung der Erkenntnisse, die sich voraussichtlich für die Verbesserung der Sicherheit und die Verhütung künftiger Seeunfälle gewinnen lassen. Sie ist dabei vorbehaltlich anderer Vorschriften an keine Form gebunden. Das Verfahren ist einfach und zweckmäßig durchzuführen.

(3) Die Sicherheitsuntersuchung erfolgt auf der Grundlage der in Artikel 2 Buchstabe e der Verordnung (EG) Nr. 1406/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2002 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (ABl. L 208 vom 5.8.2002, S. 1) bezeichneten, von den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Europäischen Kommission entwickelten gemeinsamen Methodik zur Sicherheitsuntersuchung von Seeunfällen. Im Rahmen der Untersuchung kann von dieser Methodik in besonderen Fällen abgewichen werden, soweit dies nach Lage des Falles und zum Erreichen der Untersuchungsziele erforderlich ist.

(4) Die Bundesstelle berücksichtigt bei ihren Untersuchungen die internationalen seefahrtbezogenen Untersuchungsregelungen nach Buchstabe C der Anlage, insbesondere die Leitlinien der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) über die faire Behandlung von Seeleuten bei einem Unfall auf See (VkBl. 2010 S. 506).




§ 21 Einleitung der Sicherheitsuntersuchung



(1) Der Direktor der Bundesstelle oder im Falle seiner Verhinderung sein Stellvertreter bestimmt für jeden zu untersuchenden Seeunfall einen Untersuchungsführer, der die Sicherheitsuntersuchung leitet.

(2) Der Untersuchungsführer trifft unverzüglich die zur Erfüllung des Untersuchungszwecks notwendigen Maßnahmen.




§ 22 Untersuchungsbefugnisse



(1) 1Der Untersuchungsführer sowie die Untersuchungsfachkräfte und die Beauftragten für Seeunfalluntersuchung, jeweils nach Weisung des Untersuchungsführers, sind zur Erfüllung des Untersuchungsauftrags nach § 9 Absatz 2 im Benehmen mit der örtlich zuständigen Strafverfolgungsbehörde befugt, alle erforderlichen Anordnungen und Maßnahmen zu ergreifen. 2Hierzu gehören insbesondere

1.
der ungehinderte Zugang zum Ort des Seeunfalls sowie zu dem Schiff, Wrack einschließlich Ladung, Ausrüstung und Trümmern sowie das Betreten von Grundstücken; Grundstücke in diesem Sinne sind auch die zum Betrieb von Schiffen oder zur Herstellung von Anlagen, Instrumenten und Geräten für den Schiffsbetrieb dienenden Betriebs- und Geschäftsräume im deutschen Hoheitsgebiet,

2.
zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Zugang zu den Unterkünften und das Betreten der Unterkünfte an Bord eines Schiffes; das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt,

3.
die sofortige Spurenaufnahme sowie die Entnahme von Wrackteilen, Trümmern, Bauteilen oder Stoffen sowie Bestandteilen der Ladung zu Untersuchungs- oder Auswertungszwecken,

4.
das Anfordern der Untersuchung oder die Untersuchung der unter Nummer 3 genannten Gegenstände und der freie Zugang zu den Ergebnissen solcher Untersuchungen,

5.
der freie Zugang zu allen Informationen und Aufzeichnungen einschließlich der Daten des Schiffsdatenschreibers (VDR-Daten), die sich auf ein Schiff, eine Fahrt, eine Ladung, eine Mannschaft oder eine sonstige Person, einen Gegenstand, einen Zustand oder einen Umstand beziehen, sowie deren Erhebung durch Ansichnahme und Verarbeitung,

6.
die Vervielfältigung, insbesondere durch Ablichtung von Unterlagen, Aufzeichnungen, Zeugnissen oder sonstigen Bescheinigungen (Unterlagen) eines Schiffes sowie Unterlagen, die sich an Bord eines Schiffes befinden und einen Bezug zum Seeunfall haben,

7.
der freie Zugang zu den Ergebnissen von Untersuchungen der Körper von Opfern und zu Tests, die mit Proben aus Körpern von Opfern durchgeführt werden,

8.
das Anfordern von und der freie Zugang zu den Ergebnissen von Untersuchungen der am Betrieb des Schiffes beteiligten Personen oder anderer Personen, bei denen der Verdacht der Einflussnahme auf den Betrieb des Schiffes besteht, oder zu Tests an den ihnen entnommenen Proben,

9.
das Verarbeiten von Informationen durch ungehinderte Einsichtnahme in die sachbezogenen schriftlichen und elektronischen Unterlagen des Eigentümers, des Betreibers oder des Herstellers des Schiffes und seiner Teile sowie der für die zivile Seefahrt und den Hafenbetrieb zuständigen Behörden des Bundes und der Klassifikationsgesellschaften sowie die Anfertigung entsprechender Vervielfältigungen,

10.
das Ersuchen um den Beistand der zuständigen Behörden der jeweiligen beteiligten Staaten, einschließlich der Besichtiger des Flaggenstaates und des Hafenstaates, der Bediensteten der Küstenwache, des für die Überwachung des Schiffsverkehrs zuständigen Personals der Verkehrszentralen, der Such- und Rettungsdiensteinheiten, der Lotsen und des sonstigen Hafen- oder Seeschifffahrtspersonals, soweit dies zur Erfüllung des Untersuchungszwecks nach § 9 Absatz 2 erforderlich ist.

(2) Der Direktor der Bundesstelle und die Untersuchungsführer sind im Benehmen mit der zuständigen Strafverfolgungsbehörde befugt, eine Autopsie der sterblichen Überreste von Besatzungsmitgliedern und anderen Personen an Bord des Schiffes zu verlangen, wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass eine gesundheitliche Störung Ursache des Seeunfalls ist, oder

2.
1dies im Hinblick auf den Schutz der Personen an Bord oder am Betrieb des Schiffes beteiligter Personen vor tödlichen Verletzungen erforderlich ist. 2Die Leichenöffnung und die Ausgrabung einer beerdigten Leiche werden vom Richter beim Amtsgericht angeordnet. 3Der Untersuchungsführer ist zu der Anordnung befugt, wenn der Untersuchungserfolg durch Verzögerung gefährdet würde. 4§ 87 Absatz 1 bis 3 und 4 Satz 2 der Strafprozessordnung gilt entsprechend.

(3) 1Die Sicherstellung von als Nachweismittel geeigneten Spuren und Gegenständen hat in enger Zusammenarbeit mit der zuständigen Strafverfolgungsbehörde zu erfolgen. 2Dies gilt insbesondere für solche Nachweismittel, die für einen erfolgreichen Ausgang der Sicherheitsuntersuchung sofort gesichert und ausgewertet werden müssen, wie die Identifizierung und Untersuchung der Opfer und die Aufzeichnungsanlagen.

(4) Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur wird ermächtigt, zur Verbesserung der Sicherheit im Seeverkehr durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates Pflichten am Betrieb der Schiffe beteiligter Personen, insbesondere des Schiffsführers, zur Unterstützung der und Mitwirkung an den Sicherheitsuntersuchungen, insbesondere zur Beweissicherung von Daten, Aufzeichnungen und Geräten im Zusammenhang mit einem Seeunfall zu regeln.

(5) Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Anordnungen der Bundesstelle im Rahmen der Sicherheitsuntersuchungen haben keine aufschiebende Wirkung.




§ 23 Unfallort



(1) Die Bundesstelle entscheidet nach einem Seeunfall in deutschen Hoheitsgewässern oder in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone im Benehmen mit der zuständigen Strafverfolgungsbehörde über Zutrittsrechte Dritter zu einem Schiff oder Wrack (Unfallort).

(2) Die Untersuchungsführer und Untersuchungsfachkräfte sind befugt, Personen, die sich bereits am Unfallort aufhalten oder denen zunächst der Zutritt gestattet worden ist, den weiteren Aufenthalt zu untersagen, soweit die Gefahr besteht, dass der Untersuchungserfolg durch deren Anwesenheit beeinträchtigt wird. Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Aufenthalts dieser Personen am Unfallort sind deren berechtigte Interessen und gesetzliche Verpflichtungen zu berücksichtigen.

(3) Der Unfallort, die Unfallspuren, sämtliche Wrackteile und Trümmerstücke des Schiffes sowie sonstiger Inhalt des Schiffes und der Ladung dürfen ohne Zustimmung der Bundesstelle nicht berührt oder verändert werden. Gestattet sind lediglich

1.
Löschmaßnahmen, möglichst ohne die Lage der in Satz 1 genannten Gegenstände zu verändern,

2.
Maßnahmen zur Abwehr einer unmittelbar drohenden Gefahr,

3.
die Bergung von und Erste-Hilfe-Maßnahmen an Verletzten möglichst unter gleichzeitiger schriftlicher und bildlicher Dokumentierung ihrer Lage am Unfallort oder im Verhältnis zum Unfallort.




§ 24 Teilnehmer am Untersuchungsverfahren



(1) Am Untersuchungsverfahren nimmt bei begründetem Interesse und auf ihr Verlangen je ein bevollmächtigter Vertreter anderer Staaten teil (Teilnehmer), und zwar insbesondere

1.
des Flaggenstaates,

2.
des Küstenstaates und

3.
des Staates des Sitzes des Betreibers des Schiffes.

(2) Die Teilnehmer sind berechtigt, Berater hinzuzuziehen, die unter der Aufsicht des Untersuchungsführers an der Sicherheitsuntersuchung in einem Umfang teilnehmen dürfen, der es den Teilnehmern ermöglicht, ihre für die Erfüllung des Untersuchungszwecks nach § 9 Absatz 2 erforderliche Mitwirkung so wirkungsvoll wie möglich zu gestalten.

(3) Die Teilnahme an der Sicherheitsuntersuchung erstreckt sich unter der Aufsicht des Untersuchungsführers auf alle Bereiche der Sicherheitsuntersuchung, insbesondere auf

1.
die Besichtigung des Unfallortes,

2.
die Untersuchung des Schiffes oder seines Wracks,

3.
die Einsicht in die Ergebnisse der Zeugenbefragungen mit der Möglichkeit, Befragungen zu weiteren Sachbereichen vorzuschlagen,

4.
den schnellstmöglichen Zugang zu allen wesentlichen Nachweismitteln,

5.
den Erhalt von Ablichtungen aller sachdienlichen Dokumente,

6.
die Teilnahme an den Auswertungen vorgeschriebener Aufzeichnungen,

7.
die Teilnahme an weiterführenden Untersuchungen einschließlich der Beratungen über die Ergebnisse, Ursachen und Sicherheitsempfehlungen,

8.
Anregungen zum Untersuchungsumfang.

(4) Der Untersuchungsführer kann Sachverständige und Helfer als Verwaltungshelfer hinzuziehen. Der Umfang ihrer Mitwirkung wird nach Maßgabe des Absatzes 2 vom Untersuchungsführer bestimmt. Bei Seeunfällen in deutschen Hoheitsgewässern prüft die Bundesstelle, ob genauere Erkenntnisse dadurch gewonnen werden können, dass sie Sachverständige mit besonderen Kenntnissen des jeweiligen Schifffahrtsreviers beauftragt oder im Sinne des Satzes 1 hinzuzieht.

(5) Die Einleitung und Durchführung der Sicherheitsuntersuchung am Unfallort sind nicht von der Anwesenheit der Teilnehmer und deren Berater abhängig.

(6) Teilnehmer und deren Berater, Sachverständige und Helfer dürfen sich ohne die ausdrückliche Zustimmung der Bundesstelle nicht zum Stand der Sicherheitsuntersuchung oder zu einzelnen Ergebnissen öffentlich äußern. Sie sind ausdrücklich darauf hinzuweisen. Die Untersuchungsführer und die Untersuchungsfachkräfte sind zur besonderen Verschwiegenheit verpflichtet.

(7) Teilnehmer und deren Berater, Sachverständige und Helfer sind von der Sicherheitsuntersuchung auszuschließen, wenn sie gegen dieses Gesetz oder die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsvorschriften verstoßen haben.

(8) Soweit die in den Absätzen 1 bis 7 genannten Personen nach Maßgabe des Absatzes 2 Zugang zu personenbezogenen Daten erhalten, gilt § 35 Absatz 5 entsprechend.




§ 25 Besorgnis der Befangenheit



Liegt ein Grund vor, der geeignet ist, Misstrauen gegen die unparteiische Ausübung der Tätigkeit einer an der Sicherheitsuntersuchung beteiligten Person zu rechtfertigen, oder wird von einem Betroffenen das Vorliegen eines solchen Grundes behauptet (Besorgnis der Befangenheit), so hat die betreffende Person

1.
den Direktor der Bundesstelle oder im Falle seiner Verhinderung seinen Vertreter davon in Kenntnis zu setzen,

2.
sich der weiteren Beteiligung am Verfahren zunächst zu enthalten und

3.
die Anordnungen des Direktors der Bundesstelle oder im Falle seiner Verhinderung seines Vertreters zu befolgen.

Bereits vorgenommene Untersuchungshandlungen bleiben wirksam. Betrifft die Besorgnis der Befangenheit den Direktor der Bundesstelle oder seinen Vertreter, so trifft das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur die erforderlichen Anordnungen.




§ 26 Nachweismittel



(1) Der Untersuchungsführer und die Untersuchungsfachkräfte bedienen sich aller für die Erfüllung des Untersuchungsauftrags nach § 9 Absatz 2 erforderlichen, zur Verfügung stehenden Mittel zum Nachweis der Unfallursachen (Nachweismittel). Sie dürfen nach Maßgabe des Satzes 1 insbesondere

1.
Auskünfte einholen,

2.
Zeugen, Sachverständige und andere für die Ermittlungen wichtige Personen befragen und schriftliche Äußerungen von ihnen einholen; Zeugen dürfen dabei auch unter Ausschluss von Personen, deren Interessen als für die Sicherheitsuntersuchung hinderlich gelten könnten, befragt werden,

3.
Urkunden, Akten und sonstige Unterlagen beiziehen und einsehen, soweit nicht besondere Verwendungsbeschränkungen entgegenstehen.

(2) Bevollmächtigte Vertreter nach § 24 Absatz 1 und ihre Berater sowie Sachverständige und Helfer sind verpflichtet, der Bundesstelle ihnen bekannte, für die Erfüllung des Untersuchungsauftrags nach § 9 Absatz 2 erforderliche Tatsachen und Nachweismittel unaufgefordert mitzuteilen.

(3) Zeugen des Seeunfalls und der Vorgänge, die zu ihm geführt haben oder geführt haben können, sind zur wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet. Ein Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihn selbst oder einen der in § 383 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 der Zivilprozessordnung bezeichneten Angehörigen der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung oder eines Verfahrens nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten aussetzen würde. Der Zeuge kann die Auskunft auch auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihn der Gefahr eines gegen ihn gerichteten Seeamtsverfahrens nach Abschnitt 4 oder eines sonstigen erheblichen rechtlichen Nachteils aussetzen würde, der ihn oder einen in Satz 2 bezeichneten Angehörigen betrifft. Er ist über sein Recht zur Verweigerung der Auskunft zu belehren.

(4) Zeugen und Sachverständige sind auf Antrag nach Maßgabe des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes zu entschädigen.