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Abschnitt 7 - Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG)

G. v. 20.04.2009 BGBl. I S. 799 (Nr. 20); zuletzt geändert durch Artikel 1 G. v. 28.06.2023 BGBl. 2023 I Nr. 172
Geltung ab 24.04.2009; FNA: 810-20 Arbeitsförderung
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Abschnitt 7 Grenzüberschreitende Durchsetzung

§ 24 Anwendungsbereich



1Dieser Abschnitt regelt die Behandlung von Ersuchen eines anderen Mitgliedstaats oder an einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums nach Maßgabe von Kapitel VI der Richtlinie 2014/67/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems („IMI-Verordnung") (ABl. L 159 vom 28.5.2014, S. 11) um

1.
die Zustellung von Dokumenten oder die Vollstreckung von finanziellen Verwaltungssanktionen oder Geldbußen einschließlich Gebühren und Zuschlägen, die einem Arbeitgeber mit Sitz im Inland auferlegt wurden wegen des Verstoßes gegen die auf die Entsendung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen anzuwendenden Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums (eingehende Ersuchen),

2.
die Zustellung von Dokumenten oder die Vollstreckung von Geldbußen, die einem Arbeitgeber mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums auferlegt wurden wegen des Verstoßes gegen die auf die Entsendung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen im Inland anzuwendenden Rechtsvorschriften (ausgehende Ersuchen).

2Regelungen zur Behandlung von Ersuchen um Zustellung von Dokumenten oder um Vollstreckung von finanziellen Verwaltungssanktionen oder Geldbußen in anderen Gesetzen oder völkerrechtlichen Verträgen gehen vor.




§ 25 Zuständigkeit



(1) Zentrale Behörde im Sinne dieses Abschnitts ist die Bundesstelle Vollstreckung Zoll beim Hauptzollamt Hannover.

(2) 1Die für die Zustellung und Vollstreckung im Inland zuständigen Behörden (Vollstreckungsbehörden) im Sinne dieses Abschnitts sind für eingehende Ersuchen die nach § 23 Absatz 4 zuständigen Stellen. 2Für ausgehende Ersuchen gilt die jeweilige Zuständigkeit.

(3) Die zentrale Behörde und die Vollstreckungsbehörden stellen sich die Informationen, die zur Bearbeitung eingehender und ausgehender Ersuchen erforderlich sind, unverzüglich wechselseitig zur Verfügung.




§ 26 Binnenmarkt-Informationssystem



Für die grenzüberschreitende Bearbeitung eingehender und ausgehender Ersuchen verwendet die zentrale Behörde das Binnenmarkt-Informationssystem nach der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012.




§ 27 Inhalt ausgehender Ersuchen



Ausgehende Ersuchen müssen mindestens folgende Angaben enthalten:

1.
Name und Anschrift des Vollstreckungsschuldners oder Empfängers sowie weitere Daten, soweit diese zur Identifizierung des Vollstreckungsschuldners oder Empfängers erforderlich sind,

2.
eine Zusammenfassung des Sachverhalts und der Umstände des Verstoßes, der Art der Zuwiderhandlung und der einschlägigen geltenden Vorschriften,

3.
das Original der zu vollstreckenden Entscheidung, um deren Zustellung oder Vollstreckung ersucht wird, oder eine beglaubigte Abschrift hiervon und alle sonstigen relevanten Informationen oder Dokumente auch gerichtlicher Art bezüglich der zugrunde liegenden Geldbuße,

4.
Name, Anschrift und sonstige Kontaktdaten

a)
der für die Entscheidung über die Geldbuße zuständigen Stelle und

b)
der zuständigen Stelle, bei der weitere Informationen über die Geldbuße oder die Möglichkeiten zur Anfechtung der Zahlungsverpflichtung oder der einschlägigen Entscheidung eingeholt werden können, falls diese Stelle nicht mit der in Buchstabe a genannten Stelle identisch ist,

5.
im Fall eines Ersuchens um die Zustellung von Dokumenten den Gegenstand der Zustellung und die Frist für die Erledigung der Zustellung,

6.
im Fall eines Ersuchens um die Vollstreckung einer Verwaltungssanktion oder Geldbuße

a)
das Datum, an dem die Entscheidung rechtskräftig wurde,

b)
eine Angabe der Art und der Höhe der Verwaltungssanktion oder der Geldbuße,

c)
alle für das Vollstreckungsverfahren sachdienlichen Daten, einschließlich der Information, ob und gegebenenfalls wie die Entscheidung dem oder den Betroffenen zugestellt wurde und ob es sich um eine Versäumnisentscheidung handelt,

d)
eine Bestätigung der ersuchenden Behörde, dass gegen die Verwaltungssanktion oder die Geldbuße keine weiteren Rechtsmittel eingelegt werden können, sowie

e)
die dem Ersuchen zugrunde liegende Forderung und deren verschiedene Bestandteile.




§ 28 Behandlung ausgehender Ersuchen



(1) 1Ausgehende Ersuchen werden von der Vollstreckungsbehörde nach Prüfung der Voraussetzungen nach den Absätzen 2 und 3 erstellt. 2Sie werden durch die zentrale Behörde an die zuständige Behörde eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums weitergeleitet.

(2) 1Die zuständige Behörde eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums kann um die Zustellung aller Dokumente ersucht werden, die für die Festsetzung einer Geldbuße wegen eines Verstoßes gegen die auf die Entsendung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen im Inland anzuwendenden Rechtsvorschriften oder deren Vollstreckung erforderlich sind. 2Ein Zustellungsersuchen nach Satz 1 darf nur dann erfolgen, wenn es der inländischen Vollstreckungsbehörde nicht möglich ist, das betreffende Dokument selbst zuzustellen.

(3) Die zuständige Behörde eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums kann um Vollstreckung einer Geldbuße wegen eines Verstoßes gegen die auf die Entsendung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen im Inland anzuwendenden Rechtsvorschriften ersucht werden, wenn

1.
die Voraussetzungen einer Vollstreckung im Inland gegeben wären,

2.
die Vollstreckung im Inland nicht möglich ist und

3.
die zu vollstreckende Geldbuße nicht angefochten ist oder nicht mehr angefochten werden kann.

(4) Die zentrale Behörde informiert die zuständige Behörde des anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums unverzüglich, wenn

1.
ein außerordentlicher Rechtsbehelf gegen die zu vollstreckende Bußgeldentscheidung oder in Bezug auf das hierdurch rechtskräftig abgeschlossene Bußgeldverfahren eingelegt wird oder

2.
die inländische Vollstreckungsbehörde das ausgehende Ersuchen ändert oder zurücknimmt.

(5) Wurde die zuständige Behörde eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums um Vollstreckung ersucht, ist die Vollstreckung im Inland erst wieder zulässig, soweit das Ersuchen zurückgenommen worden ist oder soweit die ersuchte Behörde die Vollstreckung verweigert hat.




§ 29 Behandlung eingehender Ersuchen



(1) 1Die zentrale Behörde leitet eingehende Ersuchen unverzüglich an die Vollstreckungsbehörde weiter. 2Die zentrale Behörde teilt der ersuchenden Behörde jeweils unverzüglich mit, wenn eine der in den Absätzen 2 bis 4 genannten Maßnahmen durchgeführt wurde. 3In diese Mitteilung ist insbesondere das Datum einer Zustellung nach Absatz 3 aufzunehmen.

(2) 1Die Vollstreckungsbehörde ergreift die erforderlichen Maßnahmen zur Zustellung oder Vollstreckung der gemäß Absatz 1 Satz 1 weitergeleiteten Ersuchen und informiert die zentrale Behörde hierüber jeweils unverzüglich. 2Die Entscheidung über eine finanzielle Verwaltungssanktion oder Geldbuße, um deren Zustellung oder Vollstreckung ersucht wird, ist wie eine behördliche Bußgeldentscheidung gemäß § 23 Absatz 1 bis 3 zuzustellen und zu vollstrecken. 3Die Bundesrepublik Deutschland verzichtet gegenüber dem ersuchenden Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums auf jegliche Erstattung der Kosten der Zustellungs- und Vollstreckungshilfe nach diesem Gesetz.

(3) Die Vollstreckungsbehörde ergreift unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb eines Monats nach Eingang des Ersuchens bei der zentralen Behörde, alle Maßnahmen, die erforderlich sind, um dem Arbeitgeber mit Sitz im Inland alle Dokumente zuzustellen, die mit einer Entscheidung über eine finanzielle Verwaltungssanktion oder Geldbuße oder mit deren Vollstreckung zusammenhängen.

(4) Erlangt die Vollstreckungsbehörde Kenntnis davon, dass gegen die zu vollstreckende Entscheidung oder in Bezug auf das hierdurch rechtskräftig abgeschlossene Bußgeldverfahren in dem ersuchenden Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums vom betroffenen Arbeitgeber oder von einer betroffenen Partei ein außerordentlicher Rechtsbehelf eingelegt wurde, setzt sie das Vollstreckungsverfahren bis zur Entscheidung über den außerordentlichen Rechtsbehelf aus.

(5) 1Die Forderungen werden in Euro vollstreckt. 2Wenn der finanziellen Verwaltungssanktion oder der Geldbuße eine andere Währung zugrunde liegt, ist der geltende Wechselkurs der Europäischen Zentralbank zum Zeitpunkt der Festsetzung der finanziellen Verwaltungssanktion oder der Geldbuße maßgeblich. 3Der Erlös der Vollstreckung fließt in die Bundeskasse, wenn eine Verwaltungsbehörde des Bundes als Vollstreckungsbehörde tätig ist, anderenfalls in die jeweilige Landeskasse.

(6) 1Die Einlegung von Rechtsmitteln gegen die Zustellung oder Vollstreckung einer finanziellen Verwaltungssanktion oder einer Geldbuße bestimmt sich nach den inländischen Zustellungs- und Vollstreckungsregelungen. 2Rechtsmittel gegen die Entscheidung, die der Zustellung oder der Vollstreckung zugrunde liegt, richten sich nach den Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums.




§ 30 Ablehnung eingehender Ersuchen



(1) Die ersuchte Vollstreckungsbehörde oder die zentrale Behörde kann ein eingehendes Ersuchen ablehnen, wenn

1.
das Ersuchen nicht die für ausgehende Ersuchen geforderten Angaben gemäß § 27 enthält oder

2.
das Ersuchen offenkundig nicht mit der zugrunde liegenden Entscheidung übereinstimmt.

(2) Die ersuchte Vollstreckungsbehörde oder die zentrale Behörde kann ein eingehendes Ersuchen um Vollstreckung darüber hinaus ablehnen, wenn

1.
die voraussichtlichen Kosten oder Mittel der Vollstreckung zur Höhe der zu vollstreckenden Verwaltungssanktion oder Geldbuße offensichtlich außer Verhältnis stehen,

2.
die zu vollstreckende Verwaltungssanktion oder die Geldbuße oder ihr Gegenwert in Euro weniger als 350 Euro beträgt oder

3.
die Vollstreckung mit Grundrechten des oder der Betroffenen oder mit sonstigen verfassungsrechtlichen Rechtsgrundsätzen zum Schutz des oder der Betroffenen nicht vereinbar wäre.

(3) 1Die Vollstreckungsbehörde teilt die Ablehnung eines eingehenden Ersuchens einschließlich ihrer Begründung unverzüglich der zentralen Behörde mit. 2Die zentrale Behörde informiert unverzüglich die ersuchende Behörde. 3Vor der Ablehnung eines eingehenden Ersuchens nach Absatz 1 Nummer 1 oder 2 gibt die zentrale Behörde der ersuchenden Behörde mit einer Frist von einem Monat die Gelegenheit zur Übermittlung der fehlenden Angaben oder zur Vervollständigung des Ersuchens.