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Dritter Abschnitt - Flugunfall-Untersuchungs-Gesetz (FlUUG)

Artikel 1 G. v. 26.08.1998 BGBl. I S. 2470; zuletzt geändert durch Artikel 153 G. v. 20.11.2019 BGBl. I S. 1626
Geltung ab 01.09.1998; FNA: 96-1-39 Luftverkehr
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Dritter Abschnitt Untersuchung

§ 8 Untersuchungsstatus



(1) Die Untersuchung durch die Bundesstelle hat grundsätzlich Vorrang vor allen anderen fachlich-technischen Untersuchungen für andere als die in § 3 genannten Ziele und Zwecke. Die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden und der zur Strafverfolgung berufenen Gerichte bleiben unberührt.

(2) Überschneidungen mit anders gerichteten Interessen im Einzelfall sind durch zielgerichtete und zweckmäßige Zusammenarbeit der Bundesstelle mit anderen beteiligten Behörden zu ordnen.


§ 9 Untersuchungsverfahren



(1) Das Untersuchungsverfahren umfaßt die gesamte Tätigkeit der Bundesstelle, die auf die Ermittlung der ursächlichen Zusammenhänge eines Unfalls oder einer Störung sowie auf die Feststellung der dafür maßgebenden Ursachen gerichtet ist. Es endet mit der Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung in einem Untersuchungsbericht und seiner Veröffentlichung.

(2) Die Bundesstelle bestimmt den Umfang der Untersuchung anhand des Ausmaßes und der Art des Unfalls oder der Störung unter Berücksichtigung der Erkenntnisse, die sich voraussichtlich für die Verbesserung der Sicherheit gewinnen lassen. Sie ist dabei vorbehaltlich anderer Vorschriften dieses Gesetzes an keine Form gebunden. Das Verfahren ist einfach und zweckmäßig durchzuführen.


§ 10 Einleitung der Untersuchung



(1) Im Einzelfall bestimmt die Bundesstelle einen Untersuchungsführer, der die Untersuchung leitet.

(2) Der Untersuchungsführer trifft unverzüglich die zur Erfüllung des Untersuchungszwecks notwendigen Maßnahmen.


§ 11 Untersuchungsbefugnisse



(1) Der Untersuchungsführer, die Untersuchungsfachkräfte und die Beauftragten für Unfalluntersuchung sind zur Erfüllung des Untersuchungsauftrags nach § 3 im Benehmen mit der örtlich zuständigen Strafverfolgungsbehörde befugt, alle Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere

1.
ungehinderter Zugang zum Ort des Unfalls oder der Störung sowie zum Luftfahrzeug, zu seiner Ladung, zu seinem Wrack und zu Teilen desselben, Grundstücke und beschädigte Wohnungen zu betreten und zu besichtigen; das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Grundgesetz) wird insoweit eingeschränkt;

2.
sofortige Spurenaufnahme und Entnahme von Trümmern, Bauteilen und Bestandteilen der Ladung zu Untersuchungs- oder Auswertungszwecken,

3.
sofortiger Zugang zu Aufzeichnungsanlagen, Aufzeichnungsträgern und sonstigen Aufzeichnungen aus dem Luftfahrzeug und bei der Flugsicherung, Ansichnahme dieser Gegenstände und ihre Auswertung sowie Zugang zu sonstigen Aufzeichnungen und deren Auswertung,

4.
Zugang zu den Ergebnissen einer Untersuchung der Opfer (Tote, Verletzte) oder von entsprechenden Proben,

5.
Zugang zu den Ergebnissen von Untersuchungen der am Betrieb des Luftfahrzeugs beteiligten Personen oder von entsprechenden Proben,

6.
sachdienliche Information durch ungehinderte Einsichtnahme in die sachbezogenen schriftlichen Unterlagen des Eigentümers, des Halters und des Herstellers des Luftfahrzeugs und seiner Teile sowie der für die Zivilluftfahrt und den Flugplatzbetrieb zuständigen Behörden und gegebenenfalls die Anfertigung entsprechender Kopien,

soweit dies zur Erreichung des Untersuchungszwecks erforderlich ist.

(2) Der Untersuchungsführer ist im Einvernehmen mit der zuständigen Strafverfolgungsbehörde befugt, eine Autopsie der sterblichen Überreste von Besatzungsmitgliedern und anderen Insassen des Luftfahrzeugs zu verlangen, wenn der begründete Verdacht besteht, daß gesundheitliche Störungen Ursache des Unfalls sein können, oder wenn die Untersuchung des Insassenschutzes vor tödlichen Verletzungen (Überlebensaspekte) dies erfordert. Die Leichenöffnung und die Ausgrabung einer beerdigten Leiche werden vom Richter beim Amtsgericht angeordnet; der Untersuchungsführer ist zu der Anordnung befugt, wenn der Untersuchungserfolg durch Verzögerung gefährdet würde. § 87 Abs. 1 bis 3 und 4 Satz 2 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend.

(3) Die Sicherstellung von als Nachweismittel geeigneten Spuren und Gegenständen hat in enger Zusammenarbeit mit der zuständigen Strafverfolgungsbehörde zu erfolgen. Dies gilt insbesondere für solche Nachweismittel, die für einen erfolgreichen Ausgang der Untersuchung sofort gesichert und ausgewertet werden müssen wie die Identifizierung und Untersuchung der Opfer und die Aufzeichnungsanlagen.


§ 12 Unfallstelle



(1) Die Unfallstelle ist frühestmöglich wirksam gegen den Zutritt Dritter abzusperren. Unbefugte dürfen die Unfallstelle nicht betreten. Über den Zutritt zur abgesperrten Unfallstelle entscheidet der Untersuchungsführer in enger Zusammenarbeit mit der zuständigen Strafverfolgungsbehörde.

(2) Die Unfallstelle, die Unfallspuren sowie sämtliche Wrackteile, Trümmerstücke und sonstiger Inhalt des Luftfahrzeugs dürfen bis zur Freigabe (§ 13) durch den Untersuchungsführer nicht berührt oder verändert werden. Gestattet sind lediglich

a)
Löschmaßnahmen, möglichst ohne die Lage der in Satz 1 genannten Gegenstände zu verändern,

b)
Maßnahmen zur Abwehr einer unmittelbar drohenden Gefahr,

c)
Bergung und Erste-Hilfe-Maßnahmen an Verletzten möglichst unter gleichzeitiger schriftlicher und bildlicher Dokumentierung ihrer Lage auf der Unfallstelle oder im Verhältnis zur Unfallstelle.

Unzweifelhaft Tote und ihre Überreste sind bis zur Freigabe durch den Untersuchungsführer unverändert liegen zu lassen.


§ 13 Freigabe der Unfallstelle und des Luftfahrzeugs



Über die Freigabe der Unfallstelle, des Luftfahrzeugs, des Wracks oder seiner Teile, der Ladung und etwaiger Opfer entscheidet der Untersuchungsführer in enger Zusammenarbeit mit der zuständigen Strafverfolgungsbehörde.


§ 14 Teilnehmer am Untersuchungsverfahren



(1) Am Untersuchungsverfahren nehmen auf ihr Verlangen je ein bevollmächtigter Vertreter nicht-deutscher Staaten teil (Teilnehmer), und zwar

1.
des Eintragungsstaats, des Entwurfstaats, des Herstellerstaats sowie des Halterstaats;

2.
von weiteren Staaten mit Zustimmung der Bundesstelle.

(2) Die bevollmächtigten Vertreter sind berechtigt, Berater hinzuzuziehen, die unter der Aufsicht des Untersuchungsführers an der Untersuchung in einem Umfang teilnehmen dürfen, der es dem bevollmächtigten Vertreter ermöglicht, seine Mitwirkung so wirkungsvoll wie möglich zu gestalten.

(3) Die Teilnahme an der Untersuchung erstreckt sich unter der Aufsicht des Untersuchungsführers auf alle Bereiche der Untersuchung, insbesondere auf

1.
die Besichtigung der Unfallstelle,

2.
die Untersuchung des Luftfahrzeugs oder seines Wracks,

3.
die Einsicht in die Ergebnisse der Zeugenbefragungen mit der Möglichkeit, Befragungen zu weiteren Sachbereichen vorzuschlagen,

4.
den schnellstmöglichen Zugang zu allen wesentlichen Nachweismitteln,

5.
den Erhalt von Ablichtungen aller sachdienlichen Dokumente,

6.
die Teilnahme an den Auswertungen vorgeschriebener Aufzeichnungen,

7.
die Teilnahme an weiterführenden Untersuchungen einschließlich der Beratungen über die Ergebnisse, Ursachen und Sicherheitsempfehlungen,

8.
Anregungen zum Untersuchungsumfang.

Die Teilnahme der Vertreter von Staaten nach Absatz 1 Nr. 2 kann auf solche Bereiche beschränkt werden, für die die Bundesstelle ihre Zustimmung erteilt hat.

(4) Der Untersuchungsführer kann Sachverständige und Helfer als Verwaltungshelfer hinzuziehen. Der Umfang ihrer Mitwirkung wird vom Untersuchungsführer bestimmt.

(5) Bei der Untersuchung gefährlicher Begegnungen bedient sich der Untersuchungsführer von ihm ausgewählter Sachverständiger mit hoher flugsicherungsfachlicher Qualifikation.

(6) Die Einleitung und Durchführung der Untersuchung an der Unfallstelle ist nicht von der Anwesenheit der Teilnehmer und deren Beratern abhängig.

(7) Teilnehmer und deren Berater, Sachverständige und Helfer dürfen sich ohne die ausdrückliche Zustimmung der Bundesstelle nicht zum Stand der Untersuchung oder zu einzelnen Ergebnissen öffentlich äußern. Sie sind nachdrücklich darauf hinzuweisen. Die Mitarbeiter der Bundesstelle, die Untersuchungsführer und die Untersuchungsfachkräfte sind zur besonderen Verschwiegenheit verpflichtet.

(8) Teilnehmer und deren Berater, Sachverständige und Helfer sind von der Untersuchung auszuschließen, wenn sie gegen die Regeln dieses Gesetzes verstoßen.

(9) Soweit die in den Absätzen 1 bis 8 genannten Personen Zugang zu personenbezogenen Daten erhalten, gilt § 26 Abs. 4 entsprechend.




§ 15 Besorgnis der Befangenheit



Liegt ein Grund vor, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die unparteiische Ausübung der Tätigkeit einer an der Untersuchung beteiligten Person zu rechtfertigen, oder wird von einem Betroffenen das Vorliegen eines solchen Grundes behauptet (Besorgnis der Befangenheit), so hat die betreffende Person den Leiter der Bundesstelle davon in Kenntnis zu setzen, sich der weiteren Beteiligung am Verfahren zunächst zu enthalten und die Anordnungen des Leiters der Bundesstelle zu befolgen. Bereits vorgenommene Untersuchungshandlungen bleiben wirksam. Betrifft die Besorgnis der Befangenheit den Leiter der Bundesstelle oder seinen Vertreter, so trifft die Aufsichtsbehörde die erforderlichen Anordnungen.


§ 16 Nachweismittel



(1) Der Untersuchungsführer und die Untersuchungsfachkräfte bedienen sich aller zur Verfügung stehenden Mittel zum Nachweis der Unfallursachen (Nachweismittel). Sie dürfen, soweit dies für die Untersuchung erforderlich ist, insbesondere

1.
Auskünfte einholen,

2.
Zeugen, Sachverständige und andere für die Ermittlungen wichtige Personen befragen und schriftliche Äußerungen von ihnen einholen,

3.
Urkunden und Akten beiziehen und einsehen, soweit nicht besondere Verwendungsbeschränkungen entgegenstehen.

(2) Bevollmächtigte Vertreter nach § 14 und ihre Berater sowie Sachverständige und Helfer sind verpflichtet, ihnen bekannte, für den Vorfall und seine Untersuchung erhebliche Tatsachen und Nachweismittel der Bundesstelle auch ohne Nachfrage bekanntzugeben.

(3) Zeugen des Vorfalls und der Vorgänge, die zu ihm geführt haben oder geführt haben können, sind zur wahrheitsgemäßen Aussage und Sachverständige sind auf Verlangen zur Erstattung von Gutachten verpflichtet. Der Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihn selbst oder einen der in § 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 der Zivilprozeßordnung bezeichneten Angehörigen der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung oder eines Verfahrens nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten aussetzen würde. Er ist über sein Recht zur Verweigerung der Auskunft zu belehren.

(4) Zeugen und Sachverständige sind auf Antrag nach Maßgabe des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen zu entschädigen.