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Abschnitt 7 - Seearbeitsgesetz (SeeArbG)

Artikel 1 G. v. 20.04.2013 BGBl. I S. 868, 2014 I 605; zuletzt geändert durch Artikel 3 G. v. 14.03.2023 BGBl. 2023 I Nr. 73
Geltung ab 01.08.2013, abweichend siehe § 154, Ermächtigungen ab 25.04.2013; FNA: 9513-38 Schiffsbesatzung
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Abschnitt 7 Ordnung an Bord und Beschwerderecht

Unterabschnitt 1 Einhaltung der Ordnung an Bord

§ 120 Verhalten an Bord



Die Schiffsbesatzung hat vertrauensvoll und unter gegenseitiger Achtung und Rücksichtnahme zusammenzuarbeiten, um den Schiffsbetrieb zu sichern und die öffentliche Sicherheit und Ordnung an Bord und im Zusammenhang mit dem Betrieb des Schiffes zu gewährleisten.


§ 121 Verantwortung des Kapitäns für die Erhaltung von Sicherheit und Ordnung



(1) Der Kapitän ist der Vorgesetzte aller Besatzungsmitglieder. Ihm steht die oberste Anordnungsbefugnis gegenüber den Besatzungsmitgliedern und den sonstigen an Bord befindlichen Personen zu.

(2) Der Kapitän hat für die Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung an Bord und im Zusammenhang mit dem Betrieb des Schiffes zu sorgen und ist im Rahmen der nachfolgenden Vorschriften und der anderen Rechtsvorschriften berechtigt, die dazu notwendigen Maßnahmen zu treffen. Er darf vom Reeder nicht daran gehindert werden, alle Entscheidungen zu treffen, die nach dem fachlichen Ermessen des Kapitäns für die Sicherheit des Schiffes und seine sichere Fahrt, seinen sicheren Betrieb oder die Sicherheit der Besatzungsmitglieder und der sonstigen an Bord befindlichen Personen erforderlich sind.

(3) Droht Menschen oder dem Schiff eine unmittelbare Gefahr, so kann der Kapitän die zur Abwendung der Gefahr gegebenen Anordnungen notfalls mit den erforderlichen Zwangsmitteln durchsetzen; die vorübergehende Festnahme ist zulässig. Die Grundrechte des Artikels 2 Absatz 2 Satz 1 und 2 und des Artikels 13 Absatz 1 und 2 des Grundgesetzes werden insoweit eingeschränkt. Kommt die Anwendung mehrerer Mittel in Frage, so ist das Mittel zu wählen, das den Betroffenen am wenigsten beeinträchtigt.

(4) Die Anwendung körperlicher Gewalt oder die vorübergehende Festnahme ist nur zulässig, wenn andere Mittel von vornherein unzulänglich erscheinen oder sich als unzulänglich erwiesen haben. Sie dürfen nur insoweit und so lange angewendet werden, als die Erfüllung der Aufgaben des Kapitäns im Rahmen der Absätze 2 und 3 dies erfordert.

(5) Der Kapitän kann die Ausübung der sich aus den Absätzen 1 bis 4 ergebenden Befugnisse auf den Ersten Offizier des Decksdienstes und den Leiter der Maschinenanlage innerhalb ihrer Dienstzweige übertragen, wenn er nicht in der Lage ist, sie selbst auszuüben. Jede Ausübung der Befugnisse ist spätestens innerhalb von 24 Stunden dem Kapitän mitzuteilen. Die Übertragung ist den Besatzungsmitgliedern in geeigneter Weise bekannt zu geben.

(6) Der Kapitän hat Maßnahmen nach den Absätzen 3 und 4 und die Übertragung der Befugnisse nach Absatz 5 unter Darstellung des Sachverhalts unverzüglich in das Seetagebuch einzutragen.


§ 122 Anordnungsbefugnis der Schiffsoffiziere und der anderen Vorgesetzten



(1) Die Schiffsoffiziere und die anderen Vorgesetzten haben die Anordnungsbefugnis zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung an Bord und im Zusammenhang mit dem Betrieb des Schiffes in ihrem Verantwortungsbereich.

(2) Die Schiffsoffiziere sind die Vorgesetzten der in ihrem Dienstzweig tätigen Besatzungsmitglieder, soweit diese nicht Leiter von Dienstzweigen sind, sowie der innerhalb ihres Dienstzweiges tätigen Personen nach § 3 Absatz 3. Leiter von Dienstzweigen sind Vorgesetzte aller in ihrem Dienstzweig tätigen Besatzungsmitglieder und Personen nach § 3 Absatz 3.

(3) Der Kapitän kann innerhalb der einzelnen Dienstzweige auch andere Besatzungsmitglieder als Vorgesetzte bestimmen. Die Bestimmung ist durch Aushang bekannt zu machen.

(4) Der wachhabende Schiffsoffizier des Maschinendienstes und die anderen Besatzungsmitglieder, die Leiter von Dienstzweigen sind, haben die Anordnungen des wachhabenden nautischen Schiffsoffiziers, die im Rahmen des Wachdienstes ergehen, in ihrem Dienstbereich durchzuführen.


§ 123 Pflichten der Vorgesetzten



(1) Der Kapitän und die anderen Vorgesetzten haben die ihnen unterstellten Personen gerecht und verständnisvoll zu behandeln und Verstößen gegen die Gesetze und die guten Sitten entgegenzutreten. Der Kapitän und die Vorgesetzten dürfen Besatzungsmitglieder nicht körperlich bestrafen, entwürdigend behandeln, nötigen oder misshandeln und haben sie vor körperlicher Bestrafung, entwürdigender Behandlung, Nötigung, Misshandlung und sittlicher Gefährdung durch andere Besatzungsmitglieder zu schützen. Sie haben darauf zu achten, dass jugendliche Besatzungsmitglieder auch während der Freizeit vor gesundheitlichen und sittlichen Gefahren nach Möglichkeit geschützt sind.

(2) Der Kapitän hat dafür zu sorgen, dass die berufliche Fortbildung der Jugendlichen im Rahmen des Schiffsbetriebs gefördert wird.


§ 124 Pflichten der Besatzungsmitglieder und der sonstigen an Bord befindlichen Personen



(1) Jedes Besatzungsmitglied ist verpflichtet, vollziehbare Anordnungen der Vorgesetzten unverzüglich zu befolgen. Insbesondere ist das Besatzungsmitglied verpflichtet, eine vollziehbare Anordnung eines zuständigen Vorgesetzten unverzüglich zu befolgen, die dazu dient, eine drohende Gefahr für Menschen, für das Schiff oder dessen Ladung abzuwehren, schwere Störungen des Schiffsbetriebs zu verhindern oder Vorschriften über die Schiffssicherheit zu erfüllen. In den Fällen des § 121 Absatz 2 und 3, auch in Verbindung mit Absatz 5, sind die Besatzungsmitglieder zur Beistandsleistung verpflichtet.

(2) Das Besatzungsmitglied ist nicht verpflichtet, eine Anordnung auszuführen, die die Menschenwürde verletzt oder wenn durch das Ausführen der Anordnung eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit begangen würde.

(3) Die sonstigen an Bord befindlichen Personen haben die vollziehbaren Anordnungen zu befolgen, die ihnen vom Kapitän oder in seiner Vertretung oder seinem Auftrag von einem Mitglied der Besatzung im Interesse der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung an Bord und im Zusammenhang mit dem Betrieb des Schiffes erteilt werden. Absatz 2 gilt entsprechend.


§ 125 Anbordbringen von Personen und Gegenständen



(1) Die Besatzungsmitglieder dürfen Personen, die nicht zur Schiffsbesatzung gehören, nicht ohne Erlaubnis des Kapitäns an Bord bringen.

(2) Die Besatzungsmitglieder sind berechtigt, persönliche Bedarfsgegenstände und Verbrauchsgüter in angemessenem Umfang an Bord zu bringen, sofern dadurch nicht gesetzliche Vorschriften verletzt, die Ordnung an Bord beeinträchtigt oder Menschen, Schiff oder Ladung gefährdet werden. Die Mitnahme von anderen Gegenständen, insbesondere von Waffen und Munition, ist nur mit Einwilligung des Kapitäns zulässig.

(3) Werden Gegenstände entgegen den Vorschriften des Absatzes 2 an Bord gebracht, so kann der Kapitän sie in Verwahrung nehmen oder in anderer Weise sicherstellen. Gefährdet ihr Verbleib die Gesundheit der an Bord befindlichen Personen, das Schiff oder die Ladung oder könnte er das Eingreifen einer Behörde veranlassen, so kann der Kapitän die Beseitigung der Gegenstände verlangen. Kommt das Besatzungsmitglied dem Verlangen nicht nach, so kann der Kapitän die Vernichtung der Gegenstände veranlassen. In diesem Falle sind die Tatsache und der Grund der Vernichtung in das Seetagebuch einzutragen.


§ 126 Besatzungsmitgliedern gleichgestellte Personen



Kanalsteurer auf dem Nord-Ostsee-Kanal und Sicherheitskräfte privater nach der Gewerbeordnung zugelassener Bewachungsunternehmen stehen hinsichtlich dieses Unterabschnitts den Besatzungsmitgliedern gleich.


Unterabschnitt 2 Beschwerderecht, Beschwerdeverfahren

§ 127 Beschwerderecht



(1) Das Besatzungsmitglied hat das Recht, sich über einen Verstoß gegen dieses Gesetz und die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen oder über eine Benachteiligung oder ungerechte Behandlung bei den in § 128 Absatz 1, 2 und 4 genannten Stellen zu beschweren (Beschwerde).

(2) Der Reeder oder in seinem Auftrag der Kapitän bestimmt mindestens eine Person an Bord des Schiffes, die dem Besatzungsmitglied auf vertraulicher Grundlage unparteiischen Rat zu einer Beschwerde erteilen und bei der Wahrnehmung des Beschwerderechts behilflich sein kann.

(3) Das Besatzungsmitglied kann sich während des Beschwerdeverfahrens von einer Person seines Vertrauens an Bord des Schiffes begleiten und vertreten lassen. Die Befugnis, sich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen, bleibt unberührt.

(4) Wegen der Erhebung einer Beschwerde dürfen dem Besatzungsmitglied und den Vertrauenspersonen nach den Absätzen 2 und 3 keine Nachteile entstehen.

(5) Beschwerderechte sowie Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche nach anderen gesetzlichen Vorschriften bleiben unberührt.

(6) Der Reeder hat das Besatzungsmitglied zusätzlich zur Aushändigung des Heuervertrages schriftlich über die an Bord gültigen Beschwerderegelungen zu unterrichten. Die Unterrichtung hat auch den Namen der Vertrauensperson nach Absatz 2 und die Anschriften und Rufnummern des Reeders, der Berufsgenossenschaft und der im Wohnsitzstaat für Beschwerden zuständigen Stelle zu enthalten. Der Reeder hat die Unterlagen über die Beschwerderegelungen stets auf dem aktuellen Stand zu halten. Er kann die Verpflichtung nach Satz 3 erfüllen, indem er das Besatzungsmitglied auf einen allgemein zugänglichen Aushang an Bord verweist.


§ 128 Beschwerdeverfahren



(1) Das Besatzungsmitglied soll seine Beschwerde zunächst an den unmittelbaren Vorgesetzten an Bord richten.

(2) 1Beschwert sich das Besatzungsmitglied bei dem unmittelbaren Vorgesetzten an Bord und hilft dieser der Beschwerde innerhalb einer angemessenen Frist, die im Regelfall zwei Wochen nicht überschreiten soll, nicht ab, hat er die Beschwerde auf Verlangen des Beschwerdeführers dem Kapitän vorzulegen. 2Der Kapitän hat über die Beschwerde zu entscheiden. 3Handelt es sich um eine Beschwerde über das Verhalten von Besatzungsmitgliedern, hat der Kapitän zunächst einen gütlichen Ausgleich zu versuchen. 4Hilft der Kapitän der Beschwerde nicht ab, hat er diese auf Verlangen des Beschwerdeführers an den Reeder weiterzuleiten.

(3) 1Der Kapitän hat die Beschwerde und seine Entscheidung unter Darstellung des Sachverhalts in das Seetagebuch einzutragen. 2Dem Beschwerdeführer soll eine Abschrift der Eintragung ausgehändigt werden.

(4) Gleichwohl hat das Besatzungsmitglied das Recht, sich jederzeit unmittelbar

1.
bei dem Kapitän,

2.
bei dem Reeder,

3.
bei der Berufsgenossenschaft,

4.
bei den deutschen Auslandsvertretungen,

5.
bei anderen geeigneten externen Stellen

zu beschweren.

(5) 1Die in Absatz 4 Nummer 3 bis 5 genannten Stellen sowie die von ihnen beauftragten Personen haben die Quelle einer Beschwerde nach § 127 Absatz 1 vertraulich zu behandeln. 2Es ist ihnen ohne Einwilligung des Beschwerdeführers untersagt, den Reeder oder von ihm beauftragte Personen darüber zu unterrichten, dass eine Untersuchung infolge einer Beschwerde stattfindet. 3Satz 2 gilt nicht, soweit die Unterrichtung im Einzelfall erforderlich ist, um eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit von Menschen oder das Schiff oder seine Ladung abzuwehren.

(6) Erhält eine deutsche Auslandsvertretung eine Beschwerde, hat sie diese unverzüglich an die Berufsgenossenschaft weiterzuleiten.

(7) Die Berufsgenossenschaft hat sicherzustellen, dass Beschwerden von Besatzungsmitgliedern jederzeit entgegengenommen und untersucht werden und ihnen nach Möglichkeit abgeholfen wird.

(8) 1Die Berufsgenossenschaft kann sich bei der Untersuchung und Abhilfe von Beschwerden der Mitwirkung anerkannter Organisationen und anderer sachverständiger Personen bedienen. 2Die Kosten der Überprüfung hat der Reeder zu tragen.