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Abschnitt 3 - Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG)

neugefasst durch B. v. 27.06.1994 BGBl. I S. 1537; zuletzt geändert durch Artikel 6 G. v. 19.12.2022 BGBl. I S. 2632
Geltung ab 01.07.1983; FNA: 319-87 Zwischenstaatliche Rechtshilfe
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Zehnter Teil Sonstiger Rechtshilfeverkehr mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union

Abschnitt 3 Besondere Formen der Rechtshilfe

§ 92 Übermittlung von Informationen einschließlich personenbezogener Daten an Mitgliedstaaten der Europäischen Union



(1) 1Auf ein Ersuchen einer Strafverfolgungsbehörde eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, das nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates vom 18. Dezember 2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABl. L 386 vom 29.12.2006, S. 89, L 75 vom 15.3.2007, S. 26) gestellt worden ist, können die zuständigen Polizeibehörden des Bundes und der Länder Informationen einschließlich personenbezogener Daten zum Zweck der Verfolgung von Straftaten übermitteln. 2Die Übermittlung erfolgt unter den gleichen gesetzlichen Voraussetzungen wie an eine inländische Polizeibehörde. 3Die Regelungen des § 3 des Bundeskriminalamtgesetzes über den internationalen Dienstverkehr der Polizeien des Bundes und der Länder bleiben unberührt.

(2) 1Bei der Übermittlung nach Absatz 1 ist mitzuteilen, dass die Verwendung als Beweismittel in einem Gerichtsverfahren unzulässig ist, es sei denn, die für Entscheidungen über Ersuchen nach dem Fünften Teil zuständige Bewilligungsbehörde hat ihre Zustimmung zur Verwendung als Beweismittel erteilt. 2Entsprechend entscheidet die für Ersuchen nach dem Fünften Teil zuständige Behörde auch über ein Ersuchen um nachträgliche Genehmigung der Verwertbarkeit als Beweismittel.

(3) Die Übermittlung von Informationen einschließlich personenbezogener Daten nach Absatz 1 ist unzulässig, wenn

1.
hierdurch wesentliche Sicherheitsinteressen des Bundes oder der Länder beeinträchtigt würden,

2.
die zu übermittelnden Daten bei der ersuchten Behörde nicht vorhanden sind und nur durch das Ergreifen von Zwangsmaßnahmen erlangt werden können oder

3.
die Übermittlung der Daten unverhältnismäßig wäre oder die Daten für die Zwecke, für die sie übermittelt werden sollen, nicht erforderlich sind.

(4) Die Bewilligung eines Ersuchens nach Absatz 1 kann verweigert werden, wenn

1.
die zu übermittelnden Daten bei der ersuchten Behörde nicht vorhanden sind, jedoch ohne das Ergreifen von Zwangsmaßnahmen erlangt werden können oder

2.
hierdurch der Erfolg laufender Ermittlungen oder Leib, Leben oder Freiheit einer Person gefährdet würde oder

3.
die Tat, zu deren Verfolgung die Daten übermittelt werden sollen, nach deutschem Recht mit einer Freiheitsstrafe von im Höchstmaß einem Jahr oder weniger bedroht ist.

(5) Als Strafverfolgungsbehörde eines Mitgliedstaates der Europäischen Union im Sinne des Absatzes 1 gilt jede von diesem Staat gemäß Artikel 2 Buchstabe a des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI benannte Stelle.




§ 92a Inhalt des Ersuchens



Die Bewilligung eines Ersuchens im Sinne des § 92 Absatz 1 Satz 1 ist nur zulässig, wenn das Ersuchen folgende Angaben enthält:

1.
die Bezeichnung und die Anschrift der ersuchenden Strafverfolgungsbehörde,

2.
die Bezeichnung der Straftat, zu deren Verfolgung die Daten benötigt werden,

3.
die Beschreibung des Sachverhalts der dem Ersuchen zugrunde liegenden Straftat,

4.
die Benennung des Zwecks, zu dem die Daten erbeten werden,

5.
den Zusammenhang zwischen dem Zweck, zu dem die Informationen oder Erkenntnisse erbeten werden, und der Person, auf die sich diese Informationen beziehen,

6.
Einzelheiten zur Identität des Beschuldigten, sofern sich das Ermittlungsverfahren gegen eine bekannte Person richtet, und

7.
Gründe für die Annahme, dass sachdienliche Informationen und Erkenntnisse im Inland vorliegen.




§ 92b Verwendung von nach dem Rahmenbeschluss 2006/960/JI übermittelten Informationen einschließlich personenbezogener Daten



1Informationen einschließlich personenbezogener Daten, die nach dem Rahmenbeschluss 2006/960/JI an eine inländische Polizeibehörde übermittelt worden sind, dürfen nur für die Zwecke, für die sie übermittelt wurden, oder zur Abwehr einer gegenwärtigen und erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit verwendet werden. 2Für einen anderen Zweck oder als Beweismittel in einem gerichtlichen Verfahren dürfen sie nur verwendet werden, wenn der übermittelnde Staat zugestimmt hat. 3Von dem übermittelnden Staat für die Verwendung der Daten gestellte Bedingungen sind zu beachten.




§ 92c Datenübermittlung ohne Ersuchen



(1) Soweit eine völkerrechtliche Vereinbarung dies vorsieht oder nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI, dürfen öffentliche Stellen ohne Ersuchen personenbezogene Daten, die den Verdacht einer Straftat begründen, an öffentliche Stellen eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Schengen-assoziierten Staates sowie Organe und Einrichtungen der Europäischen Union übermitteln, soweit

1.
eine Übermittlung auch ohne Ersuchen an ein deutsches Gericht oder eine deutsche Staatsanwaltschaft zulässig wäre und

2.
die Übermittlung geeignet ist,

a)
ein Strafverfahren in dem anderen Mitgliedstaat einzuleiten oder

b)
ein dort bereits eingeleitetes Strafverfahren zu fördern, und

3.
die Stelle, an die die Daten übermittelt werden, für die zu treffenden Maßnahmen nach Nummer 2 zuständig ist.

(2) § 61a Abs. 2 bis 4 gilt entsprechend.




§ 92d Örtliche Zuständigkeit für Ersuchen um Überwachung des Telekommunikationsverkehrs ohne technische Hilfe; Verordnungsermächtigung



(1) Örtlich zuständig für Ersuchen aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die auf eine grenzüberschreitende Überwachung des Telekommunikationsverkehrs gerichtet sind, ohne dass für die Durchführung der Überwachung die technische Hilfe der Bundesrepublik Deutschland benötigt wird, ist

1.
für Ersuchen aus der Französischen Republik, dem Königreich Spanien und der Portugiesischen Republik das zuständige Gericht am Sitz der Landesregierung von Baden-Württemberg;

2.
für Ersuchen aus der Italienischen Republik, der Republik Kroatien, der Republik Malta, der Republik Österreich und der Republik Slowenien das zuständige Gericht am Sitz der Landesregierung des Freistaats Bayern;

3.
für Ersuchen aus der Republik Estland, der Republik Lettland und der Republik Litauen das zuständige Gericht am Sitz des Senats von Berlin;

4.
für Ersuchen aus der Republik Polen das zuständige Gericht am Sitz der Landesregierung von Brandenburg;

5.
für Ersuchen aus Irland das zuständige Gericht am Sitz des Senats der Freien Hansestadt Bremen;

6.
für Ersuchen aus dem Königreich Schweden das zuständige Gericht am Sitz des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg;

7.
für Ersuchen aus der Republik Bulgarien und aus Rumänien das zuständige Gericht am Sitz der Landesregierung von Hessen;

8.
für Ersuchen aus der Republik Finnland das zuständige Gericht am Sitz der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern;

9.
für Ersuchen aus dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland das zuständige Gericht am Sitz der Landesregierung von Niedersachsen;

10.
für Ersuchen aus dem Königreich der Niederlande das zuständige Gericht am Sitz der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen;

11.
für Ersuchen aus dem Königreich Belgien das zuständige Gericht am Sitz der Landesregierung von Rheinland-Pfalz;

12.
für Ersuchen aus dem Großherzogtum Luxemburg das zuständige Gericht am Sitz der Landesregierung des Saarlandes;

13.
für Ersuchen aus der Slowakischen Republik und der Tschechischen Republik das zuständige Gericht am Sitz der Landesregierung des Freistaats Sachsen;

14.
für Ersuchen aus Ungarn das zuständige Gericht am Sitz der Landesregierung von Sachsen-Anhalt;

15.
für Ersuchen aus dem Königreich Dänemark das zuständige Gericht am Sitz der Landesregierung von Schleswig-Holstein;

16.
für Ersuchen aus der Hellenischen Republik und der Republik Zypern das zuständige Gericht am Sitz der Landesregierung des Freistaats Thüringen.

(2) 1Die Landesregierungen können die örtliche Zuständigkeit durch Rechtsverordnung abweichend regeln. 2Die Landesregierungen können diese Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen.




§ 93 Gemeinsame Ermittlungsgruppen



(1) Einem von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union in eine gemeinsame Ermittlungsgruppe entsandten Mitglied kann unter der Leitung des zuständigen deutschen Mitglieds die Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen übertragen werden, sofern dies vom entsendenden Mitgliedstaat gebilligt worden ist.

(2) Anderen Personen kann die Teilnahme an einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe nach Maßgabe der Rechtsvorschriften der teilnehmenden Mitgliedstaaten oder einer zwischen ihnen anwendbaren Übereinkunft gestattet werden.

(3) Die an der gemeinsamen Ermittlungsgruppe beteiligten Beamten und Beamtinnen dürfen den von anderen Mitgliedstaaten entsandten Mitgliedern oder anderen teilnehmenden Personen dienstlich erlangte Informationen einschließlich personenbezogener Daten unmittelbar übermitteln, soweit dies für die Tätigkeit der gemeinsamen Ermittlungsgruppe erforderlich ist.

(4) Soweit die Übermittlung der nach Absatz 3 erlangten Informationen eine besondere zweckändernde Vereinbarung erfordert, ist diese zulässig, wenn ein auf die Verwendung der Informationen gerichtetes Ersuchen bewilligt werden könnte.




§ 94 Ersuchen um Sicherstellung, Beschlagnahme und Durchsuchung



(1) Außerhalb des Anwendungsbereichs der Verordnung Sicherstellung und Einziehung sind § 58 Absatz 3 und § 67 bei Ersuchen nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses 2003/577/JI des Rates vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union (ABl. L 196 vom 2.8.2003, S. 45), der durch die Verordnung (EU) 2018/1805 (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 1) geändert worden ist, (Rahmenbeschluss Sicherstellung) anzuwenden, wobei

1.
die beiderseitige Strafbarkeit nicht zu prüfen ist, wenn die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Staates mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht ist und den in Artikel 3 Absatz 2 des Rahmenbeschlusses Sicherstellung aufgeführten Deliktsgruppen zugehörig ist,

2.
ein Ersuchen in Steuer-, Abgaben-, Zoll- und Währungsangelegenheiten auch zulässig ist, wenn das deutsche Recht keine gleichartigen Steuern vorschreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Abgaben-, Zoll- und Währungsbestimmungen enthält wie das Recht des ersuchenden Mitgliedstaates.

(2) 1Die Bewilligung von Ersuchen nach Absatz 1 ist unzulässig, wenn

1.
ein Beschlagnahmeverbot nach § 77 Abs. 1 in Verbindung mit § 97 der Strafprozessordnung besteht oder

2.
der Verfolgte wegen derselben Tat, die dem Ersuchen zu Grunde liegt, bereits von einem anderen als dem ersuchenden Mitgliedstaat rechtskräftig abgeurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall der Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann.

2Dies gilt nicht, wenn das Ersuchen der Vorbereitung einer Anordnung der Einziehung dient und eine solche Maßnahme entsprechend § 76a des Strafgesetzbuchs selbständig angeordnet werden könnte.

(3) Die Bewilligung von Ersuchen um Maßnahmen nach § 58 Abs. 3 und § 67 kann aufgeschoben werden, solange

1.
sie laufende strafrechtliche Ermittlungen beeinträchtigen könnte und

2.
die das Ersuchen betreffenden Gegenstände für ein anderes Strafverfahren beschlagnahmt oder sonst sichergestellt sind.




§ 95 Sicherungsunterlagen



(1) Die Bewilligung von Ersuchen nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses Sicherstellung ist nur zulässig, wenn eine Sicherstellungsentscheidung mit einer Bescheinigung vorgelegt wird, die die folgenden Angaben enthält:

1.
die Bezeichnung und Anschrift der ausstellenden Justizbehörde,

2.
die Beschreibung des Vermögensgegenstands oder Beweismittels, um dessen Sicherstellung ersucht wird,

3.
die möglichst genaue Bezeichnung der natürlichen oder juristischen Person, die nach den Vorschriften des Rechts des ersuchenden Staates der Straftat verdächtig ist,

4.
die Darlegung der Gründe für die Sicherstellungsentscheidung,

5.
die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit, des Tatortes und

6.
die Art und rechtliche Würdigung der Straftat, einschließlich der gesetzlichen Bestimmungen, auf deren Grundlage die Sicherstellungsentscheidung ergangen ist.

(2) 1Ist eine Bescheinigung nach Absatz 1 bei Stellung des Ersuchens nicht vorhanden oder unvollständig oder entspricht sie offensichtlich nicht der Sicherstellungsentscheidung, kann die zuständige Behörde eine Frist für die Vorlage oder Vervollständigung oder Berichtigung setzen. 2Ist die Bescheinigung nach Absatz 1 unvollständig, ergeben sich die erforderlichen Angaben aber aus der Sicherstellungsentscheidung, so kann die zuständige Behörde auf die Vorlage einer vervollständigten Bescheinigung verzichten.




§ 96 Grundsätzliche Pflicht zur Bewilligung von Sicherstellungsmaßnahmen



1Nach Maßgabe der §§ 94 und 95 zulässige Ersuchen eines Mitgliedstaates sind zu bewilligen. 2Wird ein Ersuchen wegen Unzulässigkeit abgelehnt, ist die ablehnende Bewilligungsentscheidung zu begründen.