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Unterabschnitt 4 - BND-Gesetz (BNDG)

Artikel 4 G. v. 20.12.1990 BGBl. I S. 2954, 2979; zuletzt geändert durch Artikel 1 G. v. 22.12.2023 BGBl. 2023 I Nr. 410
Geltung ab 30.12.1990; FNA: 12-6 Verfassungsschutz, Nachrichtendienst
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Abschnitt 4 Technische Aufklärung

Unterabschnitt 4 Besondere Formen der technischen Aufklärung

§ 34 Eingriff in informationstechnische Systeme von Ausländern im Ausland



(1) 1Der Bundesnachrichtendienst darf zur Erfüllung seiner Aufgaben ohne Wissen des Betroffenen auf der Grundlage einer zuvor angeordneten individuellen Aufklärungsmaßnahme mit technischen Mitteln in von Ausländern im Ausland genutzte informationstechnische Systeme eingreifen und auf ihnen gespeicherte personenbezogene Daten einschließlich Inhalte und Umstände der laufenden Kommunikation erheben, soweit dies erforderlich ist für den Zweck

1.
der politischen Unterrichtung der Bundesregierung oder

2.
der Früherkennung von aus dem Ausland drohenden Gefahren von internationaler Bedeutung.

2Die individuelle Aufklärungsmaßnahme darf nur durchgeführt werden, wenn sie für die Aufgabenerfüllung nach § 1 Absatz 2 erforderlich ist und diese ansonsten aussichtlos oder wesentlich erschwert wäre.

(2) Eine individuelle Aufklärungsmaßnahme nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie der Gewinnung von Informationen dient, mit deren Aufklärung das Bundeskanzleramt den Bundesnachrichtendienst beauftragt hat und die von herausgehobener außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind.

(3) Eine individuelle Aufklärungsmaßnahme nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 ist nur zulässig, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie der Gewinnung von Informationen dient, mit deren Aufklärung das Bundeskanzleramt den Bundesnachrichtendienst beauftragt hat, und durch sie Erkenntnisse über Gefahren nach § 19 Absatz 4 in Fällen von herausgehobener außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland gewonnen werden.

(4) 1Es ist technisch sicherzustellen, dass

1.
an dem informationstechnischen System nur Veränderungen vorgenommen werden, die für die Datenerhebung unerlässlich sind und

2.
die vorgenommenen Veränderungen bei Beendigung der Maßnahme, soweit technisch möglich, automatisiert rückgängig gemacht werden.

2Das eingesetzte Mittel ist nach dem Stand der Technik gegen unbefugte Nutzung zu schützen.

(5) Die individuelle Aufklärungsmaßnahme zum Zweck der Gefahrenfrüherkennung nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 darf sich nur richten gegen Personen, hinsichtlich derer tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie

1.
Verursacher von Gefahren im Sinne des § 19 Absatz 4 sind oder

2.
für den Verursacher nach Nummer 1 bestimmte oder von ihm herrührende Informationen entgegennehmen oder weitergeben oder der Verursacher nach Nummer 1 ihr informationstechnisches System benutzt.

(6) 1Eine individuelle Aufklärungsmaßnahme darf auch durchgeführt werden, wenn andere Personen oder Informationssysteme unvermeidbar betroffen werden. 2Sie darf unter Abwägung aller vorliegenden Erkenntnisse keinen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. 3§ 19 Absatz 7 und § 59 Absatz 2 gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass in den Fällen des § 59 Absatz 2 anstelle der Unterrichtung der G 10-Kommission die Unterrichtung des Unabhängigen Kontrollrates und anstelle der Entscheidung der G 10-Kommission die Entscheidung des Unabhängigen Kontrollrates tritt.

(7) 1Der Bundesnachrichtendienst prüft unverzüglich, ob die im Rahmen einer individuellen Aufklärungsmaßnahme nach Absatz 1 erhobenen personenbezogenen Daten allein oder zusammen mit bereits vorliegenden Daten für die Zwecke nach Absatz 1 erforderlich sind. 2Mit Zustimmung des Unabhängigen Kontrollrates kann abweichend von Satz 1 im Einzelfall ein Prüfzeitraum von bis zu drei Jahren festgelegt werden, wenn eine unverzügliche Prüfung nicht möglich ist. 3Soweit die Daten für die Zwecke nach Absatz 1 nicht erforderlich sind, sind sie unverzüglich unter Aufsicht einer Bediensteten oder eines Bediensteten, die oder der die Befähigung zum Richteramt hat, zu löschen. 4Die Löschung ist zu protokollieren. 5Die Protokolldaten dürfen ausschließlich für die Durchführung von Kontrollen der Datenverarbeitung, einschließlich der Datenschutzkontrolle, verwendet werden. 6Die Protokolldaten sind am Ende des zweiten auf die Protokollierung folgenden Kalenderjahres zu löschen. 7Der Bundesnachrichtendienst prüft sodann regelmäßig in Abständen von höchstens fünf Jahren daraufhin, ob die in Satz 1 genannten Daten allein oder zusammen mit bereits vorliegenden Daten für die in Absatz 1 bestimmten Zwecke weiterhin erforderlich sind. 8Soweit die personenbezogenen Daten für diese Zwecke nicht erforderlich sind, sind sie unverzüglich zu löschen. 9Die Sätze 4 bis 6 und § 27 Absatz 2 finden entsprechende Anwendung.

(8) 1Personenbezogene Daten sind unmittelbar nach der Datenerhebung wie folgt zu kennzeichnen:

1.
Angabe des Zwecks der Datenerhebung nach Absatz 1 Satz 1 und

2.
Angabe des Mittels der Datenerhebung.

2Die Kennzeichnung entfällt bei Übermittlungen.

(9) Für die Auswertung von informationstechnischen Systemen von Ausländern im Ausland, die sich im Besitz des Bundesnachrichtendienstes befinden, oder deren Abbildern, gilt Absatz 7 entsprechend mit der Maßgabe, dass die Auswertung innerhalb von drei Jahren nach Lesbarmachung der Daten durchgeführt sein muss, wenn nicht der Unabhängige Kontrollrat aufgrund der Umstände des Einzelfalls einer längeren Frist zustimmt.




§ 35 Schutz von Vertraulichkeitsbeziehungen



(1) Individuelle Aufklärungsmaßnahmen nach § 34 Absatz 1 Satz 1 zum Zweck der Erhebung von personenbezogenen Daten aus einer Vertraulichkeitsbeziehung (§ 21 Absatz 1 Satz 2) sind unzulässig.

(2) Abweichend von Absatz 1 sind individuelle Aufklärungsmaßnahmen zulässig, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass

1.
die in § 21 Absatz 1 Satz 2 aufgeführte Person Täter oder Teilnehmer einer der in § 11a Absatz 1 genannten Straftaten ist oder

2.
dies erforderlich ist zur Verhinderung einer Gefahr für

a)
Leib, Leben oder Freiheit einer Person,

b)
lebenswichtige Güter der Allgemeinheit oder

c)
den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder die Sicherheit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, der Europäischen Freihandelsassoziation oder des Nordatlantikvertrages.

(3) 1Sofern erst die Verarbeitung der Daten ergibt, dass diese schutzwürdig nach Absatz 1 sind, dürfen die Daten nur verwendet werden, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. 2Andernfalls sind die Daten unverzüglich zu löschen. 3Die Löschung ist zu protokollieren. 4Die Protokolldaten dürfen ausschließlich zur Durchführung der Datenschutzkontrolle verwendet werden. 5Die Protokolldaten sind bis zum Ablauf des zweiten auf die Protokollierung folgenden Kalenderjahres aufzubewahren und danach unverzüglich zu löschen.

(4) Die Entscheidung über die Zugehörigkeit einer Person zu dem in Absatz 1 genannten Personenkreis ist zu dokumentieren.




§ 36 Kernbereichsschutz



(1) Die Datenerhebung zum Zweck der Erlangung von Erkenntnissen zum Kernbereich privater Lebensgestaltung ist unzulässig.

(2) 1Sofern erst die Weiterverarbeitung der erhobenen personenbezogenen Daten ergibt, dass Daten erhoben wurden, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung unterfallen, sind diese unverzüglich zu löschen. 2Die Löschung ist zu protokollieren. 3Die Protokolldaten dürfen ausschließlich zur Durchführung der Datenschutzkontrolle verwendet werden. 4Die Protokolldaten sind bis zum Ablauf des zweiten auf die Protokollierung folgenden Kalenderjahres aufzubewahren und danach unverzüglich zu löschen.

(3) 1Bestehen im Rahmen der Weiterverarbeitung nach Absatz 2 Zweifel und sollen die Daten nicht unverzüglich gelöscht werden, dürfen die Daten nicht ohne vorherige Prüfung durch den Unabhängigen Kontrollrat weiterverarbeitet werden. 2Stellt der Unabhängige Kontrollrat fest, dass die Daten nicht weiterverarbeitet werden dürfen, sind die Daten unverzüglich zu löschen. 3Die Löschung ist zu protokollieren. 4Die Protokolldaten dürfen ausschließlich zur Durchführung der Datenschutzkontrolle verwendet werden. 5Die Protokolldaten sind bis zum Ablauf des zweiten auf die Protokollierung folgenden Kalenderjahres aufzubewahren und danach unverzüglich zu löschen.




§ 37 Anordnung



(1) Individuelle Aufklärungsmaßnahmen nach § 34 Absatz 1 Satz 1 bedürfen der Anordnung durch die Präsidentin oder den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes oder durch eine Vertretung, die die Präsidentin oder der Präsident des Bundesnachrichtendienstes bestimmt hat.

(2) 1Die Anordnung nach Absatz 1 ergeht schriftlich. 2In ihr sind anzugeben:

1.
der Aufklärungszweck,

2.
das verfolgte Aufklärungsthema,

3.
das Ziel der individuellen Aufklärungsmaßnahmen,

4.
Art, Umfang und Dauer der individuellen Aufklärungsmaßnahme,

5.
eine Begründung sowie

6.
erforderlichenfalls die Festlegung eines längeren Prüfzeitraumes nach § 34 Absatz 7 Satz 2 oder Absatz 9.

(3) 1Die Anordnung ist auf höchstens zwölf Monate zu befristen. 2Verlängerungen um jeweils bis zu zwölf Monate sind zulässig, soweit die Anordnungsvoraussetzungen unter Berücksichtigung der gewonnenen Erkenntnisse fortbestehen. 3Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor, ist die individuelle Aufklärungsmaßnahme unverzüglich zu beenden.

(4) 1Der Unabhängige Kontrollrat prüft vor ihrem Vollzug

1.
die Rechtmäßigkeit der Anordnung sowie

2.
die Rechtmäßigkeit der Verlängerung der Anordnung.

2Bestätigt der Unabhängige Kontrollrat die Rechtmäßigkeit der Anordnung nicht, tritt die Anordnung außer Kraft. 3Satz 2 gilt entsprechend für den Fall, dass der Unabhängige Kontrollrat die Rechtmäßigkeit der Verlängerung der Anordnung nicht bestätigt mit der Maßgabe, dass die Anordnung zum ursprünglich festgelegten Zeitpunkt außer Kraft tritt. 4Bei Gefahr im Verzug erfolgt eine vorläufige Prüfung der Rechtmäßigkeit durch ein Mitglied des gerichtsähnlichen Kontrollorgans des Unabhängigen Kontrollrates, wenn andernfalls der Aufklärungszweck der individuellen Aufklärungsmaßnahme vereitelt oder wesentlich erschwert würde. 5Wird im Rahmen der vorläufigen Prüfung festgestellt, dass die Anordnung oder die Verlängerung der Anordnung rechtmäßig ist, darf diese vollzogen werden. 6In diesem Fall ist die Prüfung durch den Unabhängigen Kontrollrat unverzüglich nachzuholen. 7Hebt der Unabhängige Kontrollrat die Entscheidung nach Satz 4 auf, tritt

1.
im Falle des Satzes 1 Nummer 1 die Anordnung außer Kraft,

2.
im Falle des Satzes 1 Nummer 2 die Anordnung zum ursprünglich festgelegten Zeitpunkt außer Kraft

und die bereits erhobenen Daten sind unverzüglich zu löschen.

(5) 1Der Bundesnachrichtendienst unterrichtet das Bundeskanzleramt in regelmäßigen Abständen über Anordnungen nach Absatz 1. 2Das Bundeskanzleramt unterrichtet darüber hinaus das Parlamentarische Kontrollgremium jährlich über die Anzahl der angeordneten individuellen Aufklärungsmaßnahmen.




§ 38 (aufgehoben)







§ 39 (aufgehoben)