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Abschnitt 3 - Digitale Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV)

V. v. 08.04.2020 BGBl. I S. 768 (Nr. 18); zuletzt geändert durch Artikel 4 G. v. 22.03.2024 BGBl. 2024 I Nr. 101
Geltung ab 21.04.2020; FNA: 860-5-55 Sozialgesetzbuch
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Abschnitt 3 Anforderungen an den Nachweis positiver Versorgungseffekte

§ 8 Begriff der positiven Versorgungseffekte



(1) Positive Versorgungseffekte im Sinne dieser Verordnung sind entweder ein medizinischer Nutzen oder patientenrelevante Struktur- und Verfahrensverbesserungen in der Versorgung.

(2) Der medizinische Nutzen im Sinne dieser Verordnung ist der patientenrelevante Effekt insbesondere hinsichtlich der Verbesserung des Gesundheitszustands, der Verkürzung der Krankheitsdauer, der Verlängerung des Überlebens oder einer Verbesserung der Lebensqualität.

(3) Die patientenrelevanten Struktur- und Verfahrensverbesserungen in der Versorgung im Sinne dieser Verordnung sind im Rahmen der Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten oder der Erkennung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen auf eine Unterstützung des Gesundheitshandelns der Patientinnen und Patienten oder eine Integration der Abläufe zwischen Patientinnen und Patienten und Leistungserbringern ausgerichtet und umfassen insbesondere die Bereiche der

1.
Koordination der Behandlungsabläufe,

2.
Ausrichtung der Behandlung an Leitlinien und anerkannten Standards,

3.
Adhärenz,

4.
Erleichterung des Zugangs zur Versorgung,

5.
Patientensicherheit,

6.
Gesundheitskompetenz,

7.
Patientensouveränität,

8.
Bewältigung krankheitsbedingter Schwierigkeiten im Alltag oder

9.
Reduzierung der therapiebedingten Aufwände und Belastungen der Patienten und ihrer Angehörigen.


§ 9 Darlegung positiver Versorgungseffekte



(1) In dem Antrag auf Aufnahme in das Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen nach § 2 gibt der Hersteller an:

1.
den positiven Versorgungseffekt der digitalen Gesundheitsanwendung, der nachgewiesen werden soll, und

2.
die Patientengruppe, für die der positive Versorgungseffekt nach Nummer 1 nachgewiesen werden soll.

(2) Der von dem Hersteller nach Absatz 1 Nummer 1 postulierte positive Versorgungseffekt muss mit der Zweckbestimmung nach den jeweils geltenden medizinprodukterechtlichen Vorschriften sowie mit den Funktionen, den Inhalten und den vom Hersteller veröffentlichten Aussagen zu der digitalen Gesundheitsanwendung konsistent sein.

(3) 1Für die Bestimmung der maßgeblichen Patientengruppe nach Absatz 1 Nummer 2 gibt der Hersteller eine oder mehrere Indikationen nach ICD-10-GM in der Regel dreistellig an. 2Sofern die Eingrenzung der Patientengruppe nach Satz 1 mit einer dreistelligen Angabe nicht möglich ist, kann der Hersteller eine oder mehrere Indikationen nach ICD-10-GM auch vierstellig angeben. 3Gibt der Hersteller mehrere Indikationen an, so kann er den Nachweis nach Absatz 1 Nummer 2 grundsätzlich für alle Indikationen gemeinsam führen, die im Hinblick auf den nachzuweisenden positiven Versorgungseffekt wesentlich vergleichbar sind. 4Soweit dies nicht der Fall ist, hat der Hersteller den Nachweis für die jeweilige Indikation gesondert zu führen. 5Die Eingrenzung nach Satz 2 und die Vergleichbarkeit nach Satz 3 sind zu begründen.


§ 10 Studien zum Nachweis positiver Versorgungseffekte



(1) 1Der Hersteller legt zum Nachweis der nach § 9 Absatz 1 angegebenen positiven Versorgungseffekte eine vergleichende Studie vor, welche zeigt, dass die Anwendung der digitalen Gesundheitsanwendung besser ist als deren Nichtanwendung. 2Vergleichende Studien im Sinne von Satz 1 sind retrospektive vergleichende Studien einschließlich retrospektiver Studien mit intraindividuellem Vergleich.

(2) Zum Nachweis der nach § 9 Absatz 1 angegebenen positiven Versorgungseffekte kann der Hersteller alternativ zu den Studien nach Absatz 1 auch prospektive Vergleichsstudien vorlegen.

(3) 1Unabhängig davon, ob im Rahmen der Studien nach Absatz 1 und 2 Methoden der klinischen Forschung oder Methoden anderer Wissenschaftsbereiche wie insbesondere der Versorgungsforschung oder der Sozialforschung zur Anwendung kommen, sind quantitative vergleichende Studien vorzulegen. 2Der gewählte methodische Ansatz muss dem positiven Versorgungseffekt, der gezeigt werden soll, angemessen sein.

(4) 1Die Nichtanwendung nach Absatz 1 Satz 1 kann eine Nichtbehandlung oder eine Behandlung ohne digitale Gesundheitsanwendung sein. 2Die Auswahl des Komparators muss der Versorgungsrealität entsprechen. 3Abweichend von Satz 1 kann die Nichtanwendung auch eine Behandlung mit einer anderen vergleichbaren digitalen Gesundheitsanwendung sein. 4Die andere digitale Gesundheitsanwendung nach Satz 3 muss zum Zeitpunkt der Antragstellung im Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen nach § 139e Absatz 2 und 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch endgültig gelistet sein.

(5) 1Der Nachweis nach Absatz 1 und 2 muss anhand von Studien geführt werden, die im Inland durchgeführt wurden. 2Sofern Studien ganz oder teilweise in Staaten außerhalb des Geltungsbereiches des Fünften Buches Sozialgesetzbuch durchgeführt wurden, muss der Hersteller die Übertragbarkeit auf den deutschen Versorgungskontext belegen.

(6) 1Die Studien nach Absatz 1 und 2 sind von dem Hersteller in einem öffentlichen Studienregister zu registrieren und binnen zwölf Monaten nach Studienabschluss mit den Ergebnissen vollumfänglich im Internet zu veröffentlichen, soweit nicht rechtliche Anforderungen an den Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse oder an den Schutz personenbezogener Daten oder des geistigen Eigentums einer Veröffentlichung entgegenstehen. 2Das Studienregister nach Satz 1 muss ein Primärregister oder ein Partnerregister der World Health Organisation International Clinical Trials Registry Platform oder ein Datenlieferant der World Health Organisation International Clinical Trials Registry Platform sein.

(7) Die im Rahmen der Durchführung der Studien nach Absatz 1 und 2 zu erstellenden Studienberichte müssen unter Einhaltung der maßgeblichen, international anerkannten Standards der Darstellung und Berichterstattung von Studien erstellt werden.


§ 11 Studien zum Nachweis positiver Versorgungseffekte in besonderen Fällen



(1) Abweichend von § 10 Absatz 1 legt der Hersteller zum Nachweis der nach § 9 Absatz 1 angegebenen positiven Versorgungseffekte eine prospektive Vergleichsstudie vor, wenn keine geeigneten Daten vorliegen, die einen aussagekräftigen retrospektiven Vergleich ermöglichen und insbesondere keine ausreichende Vergleichbarkeit der Populationen erreicht werden kann.

(2) § 10 Absatz 3 bis 7 gilt entsprechend.


§ 11a Studien zum Nachweis des medizinischen Nutzens bei digitalen Gesundheitsanwendungen höherer Risikoklasse



(1) Abweichend von § 10 Absatz 1 legt der Hersteller zum Nachweis des medizinischen Nutzens bei digitalen Gesundheitsanwendungen höherer Risikoklasse eine prospektive Vergleichsstudie vor.

(2) § 10 Absatz 5 bis 7 gilt entsprechend.




§ 12 Nachweis für diagnostische Instrumente



(1) Enthält eine digitale Gesundheitsanwendung ein diagnostisches Instrument, so hat der Hersteller zusätzlich zu den Nachweisen nach § 10 mittels einer Studie die Sensitivität und Spezifität der digitalen Gesundheitsanwendung im Hinblick auf die angegebene Patientengruppe nach § 9 Absatz 1 Nummer 2 und Absatz 3 zu ermitteln.

(2) § 10 Absatz 3 bis 7 gilt entsprechend.


§ 13 Bewertungsentscheidung über das Vorliegen eines hinreichenden Nachweises



(1) 1Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte bewertet im Rahmen einer Abwägungsentscheidung, ob auf Grundlage der vorgelegten Unterlagen positive Versorgungseffekte hinreichend nachgewiesen sind. 2Die Abwägungsentscheidung berücksichtigt die zu erwartenden positiven wie negativen Effekte auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse insbesondere unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Indikation, des Risikos der digitalen Gesundheitsanwendung und der vorhandenen oder nicht vorhandenen Versorgungsalternativen.

(2) Erweisen sich die Anforderungen nach den §§ 10 bis 12 aufgrund der besonderen Eigenschaften einer digitalen Gesundheitsanwendung oder aus anderen Gründen als ungeeignet für den Nachweis positiver Versorgungseffekte, kann das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte von den Vorgaben nach den §§ 10 bis 12 abweichen.


§ 14 Begründung der Versorgungsverbesserung



Für einen Antrag nach § 139e Absatz 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch hat der Hersteller zur plausiblen Begründung, dass im Rahmen einer Erprobung ein positiver Versorgungseffekt nachgewiesen werden kann, mindestens die Ergebnisse einer systematischen Datenauswertung zur Nutzung der digitalen Gesundheitsanwendung vorzulegen.


§ 15 Wissenschaftliches Evaluationskonzept



1Der Hersteller legt im Rahmen eines Antrags nach § 139e Absatz 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch ein nach allgemein anerkannten wissenschaftlichen Standards erstelltes Evaluationskonzept vor, das die Ergebnisse der Datenauswertung nach § 14 angemessen berücksichtigt. 2Das in dem Evaluationskonzept dargelegte Vorgehen muss geeignet sein, die Nachweise nach den §§ 10 bis 12 zu erbringen.