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Erster Abschnitt - Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG)

neugefasst durch B. v. 06.09.2021 BGBl. I S. 4129; zuletzt geändert durch Artikel 27 G. v. 20.12.2022 BGBl. I S. 2759
Geltung ab 29.12.1991; FNA: 252-1 Stasi-Unterlagen-Gesetz
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Erster Abschnitt Allgemeine und grundsätzliche Vorschriften

§ 1 Zweck und Anwendungsbereich des Gesetzes



(1) Dieses Gesetz regelt die Erfassung, Erschließung, Verwaltung und Verwendung der Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit und seiner Vorläufer- und Nachfolgeorganisationen (Staatssicherheitsdienst) der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, um

1.
dem einzelnen Zugang zu den vom Staatssicherheitsdienst zu seiner Person gespeicherten Informationen zu ermöglichen, damit er die Einflußnahme des Staatssicherheitsdienstes auf sein persönliches Schicksal aufklären kann,

2.
den einzelnen davor zu schützen, daß er durch den Umgang mit den vom Staatssicherheitsdienst zu seiner Person gespeicherten Informationen in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird,

3.
die historische, politische und juristische Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes zu gewährleisten und zu fördern,

4.
öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen die erforderlichen Informationen für die in diesem Gesetz genannten Zwecke zur Verfügung zu stellen.

(2) Dieses Gesetz gilt für Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, die sich bei öffentlichen Stellen des Bundes oder der Länder, bei natürlichen Personen oder sonstigen nichtöffentlichen Stellen befinden.




§ 2 Erfassung, Verwahrung und Verwaltung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes



(1) 1Die Stasi-Unterlagen werden in Berlin und an regionalen Standorten in Erfurt, Frankfurt (Oder), Halle (Saale), Leipzig und Rostock gemäß ihrer Herkunft verwahrt. 2Es werden zudem Außenstellen in Chemnitz, Cottbus, Dresden, Gera, Magdeburg, Neubrandenburg, Schwerin und Suhl gebildet. 3Außenstellen sind Standorte des Bundesarchivs in den ostdeutschen Ländern, die Aufgaben nach diesem Gesetz erfüllen. 4Sie arbeiten inhaltlich und organisatorisch mit dem jeweiligen Archivstandort des Landes zusammen. 5Zu den Aufgaben gehören die Information und Beratung von natürlichen Personen, die Bearbeitung von Anträgen, die Unterrichtung der Öffentlichkeit über Struktur, Methoden und Wirkungsweise des Staatssicherheitsdienstes in Form von partizipativen Dokumentations-, Ausstellungs- und anderen Bildungsprojekten in der Region. 6Die Standorte und Außenstellen sind in die regionale Gedenkstättenlandschaft eingebunden.

(2) Das Bundesarchiv hat nach Maßgabe dieses Gesetzes folgende Aufgaben und Befugnisse:

1.
Erfassung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes,

2.
nach archivischen Grundsätzen Bewertung, Ordnung, Erschließung, Verwahrung und Verwaltung der Unterlagen,

3.
gesonderte Verwahrung von

a)
dem Staatssicherheitsdienst überlassenen Akten von Gerichten und Staatsanwaltschaften,

b)
Duplikaten nach § 11 Absatz 2 Satz 2,

c)
Unterlagen über Mitarbeiter von Nachrichtendiensten des Bundes, der Länder und der Verbündeten,

d)
Unterlagen

-
über Mitarbeiter anderer Nachrichtendienste,

-
mit technischen oder sonstigen fachlichen Anweisungen oder Beschreibungen über Einsatzmöglichkeiten von Mitteln und Methoden auf den Gebieten der Spionage, Spionageabwehr oder des Terrorismus,

wenn das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat im Einzelfall erklärt, dass das Bekanntwerden der Unterlagen die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde;

für die gesonderte Verwahrung nach Buchstabe b bis d gelten die Vorschriften über den Umgang mit Verschlusssachen der Geheimhaltungsgrade VS-Vertraulich und höher,

4.
Erteilung von Auskünften, Mitteilungen aus Unterlagen, Gewährung von Einsicht in Unterlagen, Herausgabe von Unterlagen,

5.
Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes durch Unterrichtung der Öffentlichkeit über Struktur, Methoden und Wirkungsweise des Staatssicherheitsdienstes; für die Veröffentlichung personenbezogener Informationen gilt § 32 Absatz 3; die Veröffentlichung kann auch durch ein elektronisches Informations- und Kommunikationssystem erfolgen,

6.
Unterstützung der Forschung und der politischen Bildung bei der historischen und politischen Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes durch Gewährung von Einsicht in Unterlagen und Herausgabe von Duplikaten von Unterlagen sowie Unterstützung von Einrichtungen und Gedenkstätten zur Aufarbeitung der Geschichte der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik oder der ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone bei der Dokumentation der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes und quellenkundliche Forschung zur Erschließung der Bestände des Stasi-Unterlagen-Archivs,

7.
Information und Beratung von natürlichen Personen, anderen nichtöffentlichen Stellen und öffentlichen Stellen; die Information und Beratung kann an allen Standorten oder in digitaler Form erfolgen,

8.
Einrichtung und Unterhaltung von Dokumentations- und Ausstellungszentren zum Thema Staatssicherheitsdienst,

9.
Vermittlung des besonderen Charakters und des Symbolwertes des Stasi-Unterlagen-Archivs durch hierauf bezogene Bildungs- und Informationsangebote an den historischen Orten sowie in Medien und Internet,

10.
Rekonstruktion und Erschließung von zerrissenen Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes,

11.
Vorlage eines schriftlichen Berichtes an den Deutschen Bundestag alle zwei Jahre über die in § 2 genannten Aufgaben.

(3) 1Das Bundesarchiv kann zur Erfüllung seiner Aufgaben nach diesem Gesetz folgende Informationen aus dem Zentralen Einwohnerregister der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik verwenden:

1.
Familienname, Vorname,

2.
Geburtsname, sonstige Namen,

3.
Geburtsort,

4.
Personenkennzeichen,

5.
letzte Anschrift,

6.
Merkmal „verstorben".

2Diese Informationen sind auf Ersuchen den Gerichten und Strafverfolgungsbehörden zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben zu übermitteln.




§ 3 Rechte des einzelnen



(1) 1Jeder einzelne hat das Recht, vom Bundesarchiv Auskunft darüber zu verlangen, ob in den erschlossenen Unterlagen Informationen zu seiner Person enthalten sind. 2Ist das der Fall, hat der einzelne das Recht auf Auskunft, Einsicht in Unterlagen und Herausgabe von Unterlagen nach Maßgabe dieses Gesetzes.

(2) Jeder einzelne hat das Recht, die Informationen und Unterlagen, die er auf Grundlage dieses Gesetzes erhalten hat, im Rahmen der allgemeinen Gesetze zu verwenden.

(3) Durch die Auskunftserteilung, Gewährung von Einsicht in Unterlagen oder Herausgabe von Unterlagen dürfen überwiegende schutzwürdige Interessen anderer Personen nicht beeinträchtigt werden.




§ 4 Zulässigkeit der Verwendung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes durch öffentliche und nichtöffentliche Stellen



(1) 1Öffentliche und nichtöffentliche Stellen haben nur Zugang zu den Unterlagen und dürfen sie nur verwenden, soweit dieses Gesetz es erlaubt oder anordnet. 2Legen Betroffene, Dritte, nahe Angehörige Vermißter oder Verstorbener, Mitarbeiter oder Begünstigte des Staatssicherheitsdienstes Unterlagen mit Informationen über ihre Person von sich aus vor, dürfen diese auch für die Zwecke verwendet werden, für die sie vorgelegt worden sind.

(2) Stellt das Bundesarchiv fest oder wird ihm mitgeteilt, daß personenbezogene Informationen in Unterlagen unrichtig sind, oder wird die Richtigkeit von der Person, auf die sie sich beziehen, bestritten, so ist dies auf einem gesonderten Blatt zu vermerken und den Unterlagen beizufügen.

(3) Sind personenbezogene Informationen aufgrund eines Ersuchens nach den §§ 20 bis 25 übermittelt worden und erweisen sie sich hinsichtlich der Person, auf die sich das Ersuchen bezog, nach ihrer Übermittlung als unrichtig, so sind sie gegenüber dem Empfänger zu berichtigen, es sei denn, daß dies für die Beurteilung eines Sachverhaltes ohne Bedeutung ist.

(4) Durch die Verwendung der Unterlagen dürfen überwiegende schutzwürdige Interessen anderer Personen nicht beeinträchtigt werden.




§ 5 Besondere Verwendungsverbote



(1) 1Die Verwendung personenbezogener Informationen über Betroffene oder Dritte, die im Rahmen der zielgerichteten Informationserhebung oder Ausspähung des Betroffenen einschließlich heimlicher Informationserhebung gewonnen worden sind, zum Nachteil dieser Personen ist unzulässig. 2Dies gilt nicht in den Fällen des § 21 Abs. 1 Nr. 1 und 2, wenn Angaben des Betroffenen oder Dritten sich aufgrund der Informationen ganz oder teilweise als unzutreffend erweisen.

(2) 1Die Verwendung von Unterlagen ist für einen begrenzten Zeitraum unzulässig, wenn die zuständige Staatsanwaltschaft oder das Gericht gegenüber dem Bundesarchiv erklärt, daß für einen bestimmten Zeitraum die Verwendung die Durchführung eines Strafverfahrens beeinträchtigen würde. 2Dies gilt nicht, wenn dadurch Personen in der Wahrnehmung ihrer Rechte in unzumutbarer Weise beschränkt würden. 3In diesem Falle erfolgt die Verwendung im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht.




§ 6 Begriffsbestimmungen



(1) Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes sind

1.
sämtliche Informationsträger unabhängig von der Form der Speicherung, insbesondere

a)
Akten, Dateien, Schriftstücke, Karten, Pläne, Filme, Bild-, Ton- und sonstige Aufzeichnungen,

b)
deren Kopien, Abschriften und sonstige Duplikate sowie

c)
die zur Auswertung erforderlichen Hilfsmittel, insbesondere Programme für die automatisierte Datenverarbeitung,

soweit sie beim Staatssicherheitsdienst oder beim Arbeitsgebiet 1 der Kriminalpolizei der Volkspolizei entstanden, in deren Besitz gelangt oder ihnen zur Verwendung überlassen worden sind,

2.
dem Staatssicherheitsdienst überlassene Akten von Gerichten und Staatsanwaltschaften.

(2) Nicht zu den Unterlagen gehören

1.
Schreiben des Staatssicherheitsdienstes nebst Anlagen, die er anderen öffentlichen oder nichtöffentlichen Stellen zugesandt hat, soweit diese Stellen ihm gegenüber nicht rechtlich oder faktisch weisungsbefugt waren,

2.
Unterlagen, die an andere Stellen aus Gründen der Zuständigkeit weiter- oder zurückgegeben worden sind und in denen sich keine Anhaltspunkte befinden, daß der Staatssicherheitsdienst Maßnahmen getroffen oder veranlaßt hat,

3.
Unterlagen, deren Bearbeitung vor dem 8. Mai 1945 abgeschlossen war und in denen sich keine Anhaltspunkte befinden, daß der Staatssicherheitsdienst sie über die archivische Erschließung hinaus genutzt hat,

4.
1Gegenstände und Unterlagen, die Betroffenen oder Dritten vom Staatssicherheitsdienst widerrechtlich weggenommen oder vorenthalten worden sind. 2Soweit es sich um Schriftstücke handelt, kann das Bundesarchiv Duplikate zu seinen Unterlagen nehmen.

(3) 1Betroffene im Sinne dieses Gesetzes sind Personen, zu denen der Staatssicherheitsdienst aufgrund zielgerichteter Informationserhebung oder Ausspähung einschließlich heimlicher Informationserhebung Informationen gesammelt hat. 2Satz 1 gilt nicht

1.
für Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes, soweit die Sammlung der Informationen nur der Anbahnung und Werbung oder nur der Kontrolle ihrer Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst gedient hat, und

2.
für Begünstigte, soweit die Sammlung der Informationen nur der Anbahnung oder nur der Kontrolle ihres Verhaltens im Hinblick auf die Begünstigung gedient hat.

(4) Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes sind hauptamtliche und inoffizielle Mitarbeiter.

1.
Hauptamtliche Mitarbeiter sind Personen, die in einem offiziellen Arbeits- oder Dienstverhältnis des Staatssicherheitsdienstes gestanden haben und Offiziere des Staatssicherheitsdienstes im besonderen Einsatz.

2.
Inoffizielle Mitarbeiter sind Personen, die sich zur Lieferung von Informationen an den Staatssicherheitsdienst bereiterklärt haben.

(5) Die Vorschriften über Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes gelten entsprechend für

1.
Personen, die gegenüber Mitarbeitern des Staatssicherheitsdienstes hinsichtlich deren Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst rechtlich oder faktisch weisungsbefugt waren,

2.
inoffizielle Mitarbeiter des Arbeitsgebietes 1 der Kriminalpolizei der Volkspolizei.

(6) Begünstigte sind Personen, die

1.
vom Staatssicherheitsdienst wesentlich gefördert worden sind, insbesondere durch Verschaffung beruflicher oder sonstiger wirtschaftlicher Vorteile,

2.
vom Staatssicherheitsdienst oder auf seine Veranlassung bei der Strafverfolgung geschont worden sind,

3.
mit Wissen, Duldung oder Unterstützung des Staatssicherheitsdienstes Straftaten gefördert, vorbereitet oder begangen haben.

(7) Dritte sind sonstige Personen, über die der Staatssicherheitsdienst Informationen gesammelt hat.

(8) 1Ob Personen Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes, Begünstigte, Betroffene oder Dritte sind, ist für jede Information gesondert festzustellen. 2Für die Feststellung ist maßgebend, mit welcher Zielrichtung die Informationen in die Unterlagen aufgenommen worden sind.

(9) 1Die Verwendung von Unterlagen umfaßt die Weitergabe von Unterlagen, die Übermittlung von Informationen aus den Unterlagen sowie die sonstige Verarbeitung und die Nutzung von Informationen. 2Soweit in dieser Vorschrift nichts anderes bestimmt ist, gelten die Begriffsbestimmungen des § 2 des Bundesdatenschutzgesetzes mit der Maßgabe, daß zu den nichtöffentlichen Stellen auch die Religionsgesellschaften gehören.

(10) Personenbezogene Informationen im Sinne dieses Gesetzes sind Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren lebenden oder verstorbenen Person.

(11) Anonymisieren ist das Verändern personenbezogener Informationen derart, dass die Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse nicht mehr oder nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person zugeordnet werden können.